Kristin Lavranstochter 1
untergehen, als sie dort anlangten; das Vieh war im Pferch, und Tordis und die Hirten waren beim Melken. Drinnen in der Hütte stand die gekochte Grütze für Lavrans und seine Leute bereit, denn die Bewohner der Alm hatten sie schon im Laufe des Tages oben bei der Wächterhütte gesehen und sie deshalb erwartet.
Da erst ließ Kristins Schluchzen nach. Sie saß auf dem Schoß des Vaters und aß Grütze und Rahm mit demselben Löffel wie er.
Lavrans wollte am nächsten Tag zu einem See tiefer drinnen in den Bergen; dort waren einige seiner Sennen mit den Stieren. Kristin hatte mitkommen sollen, aber jetzt sagte er, sie solle auf der Alm Zurückbleiben. „Und ihr müßt darauf achten, du, Tordis, und du, Isrid, daß die Türe und das Rauchloch verschlossen bleiben, bis wir wieder zurückkommen, sowohl wegen Kristin als auch wegen des kleinen ungetauften Kindes hier in der Wiege.“
Tordis war vor Schrecken so ängstlich geworden, daß sie mit dem Kleinen nicht mehr hier oben zu bleiben wagte, überdies war sie selbst seit ihrem Kindbett nicht wieder in der Kirche gewesen - sie wollte am liebsten ins Tal hinuntergehen und gleich dort bleiben. Lavrans meinte, dies dünke ihm begreiflich: sie könne am nächsten Abend mit ihnen hinuntergehen. Er sagte, er würde an ihrer Stelle eine ältere Witwe, die auf dem Jörundhof diene, heraufsenden.
Tordis hatte süßes frisches Berggras unter die Felle auf der Bank gebreitet; das roch so stark und gut, und Kristin schlief beinahe schon, als der Vater ein Vaterunser und ein Ave-Maria über ihr sprach.
„Ja, nun wird einige Zeit vergehen, bis ich dich wieder in die Berge mitnehme“, sagte Lavrans und klopfte ihr die Wange.
Kristin wurde plötzlich munter und wach.
„Vater - darf ich auch nicht mit dir nach Süden hinunter, im Herbst, wie du versprochen hast?“
„Das werden wir noch sehen“, sagte Lavrans, und gleich darauf schlief Kristin süß zwischen den Schaffellen.
2
Jeden Sommer pflegte Lavrans Björgulvssohn nach dem Süden zu reiten, um auf seinem Hof in Folio nach dem Rechten zu sehen. Diese Reisen des Vaters hoben in Kristins Erinnerung die einzelnen Jahre voneinander ab; die langen Wochen, in denen er weg war, und ihre große Freude, wenn er mit schönen Geschenken heimkam - mit ausländischen Stoffen für ihre Brauttruhe, mit Feigen, Rosinen und Honigbrot aus Oslo - und ihr viel Seltsames zu erzählen wußte.
Aber in diesem Jahre merkte Kristin, daß mit der Reise des Vaters etwas Ungewöhnliches verbunden war. Sie wurde immer wieder verschoben, die Alten vom Loptshof kamen geritten und saßen zusammen mit Kristins Eltern über den Tisch gebeugt, redeten von Erbfolge und Erbrecht und Rückkaufsrecht und von den Schwierigkeiten, den Hof von hier aus zu betreiben, und von dem Bischofssitz und dem Königshof in Oslo, die den Höfen ringsumher so viele Arbeitskräfte entzögen. Sie hatten fast keine Zeit, mit ihr zu spielen, und sie wurde ins Küchenhaus zu den Mägden hinausgeschickt. Ihr Oheim, Trond Ivarssohn von Sundbu, kam häufiger zu ihnen, als er sonst zu tun pflegte -er jedoch hatte nie mit Kristin gescherzt oder sie geliebkost.
Nach und nach erfaßte sie, worum es sich handelte. Der Vater hatte von jeher, seit er nach Sil gekommen war, versucht, viel Land hier im Tale unter sich zu vereinigen, und nun hatte Ritter Andres Gudmundssohn Lavrans vorgeschlagen, den Hof Formo, der Herrn Andres’ Mutter Erbhof war, gegen Skog zu tauschen, das für ihn besser gelegen war, seitdem er zum Gefolge des Königs gehörte und nur selten in das Tal heraufkam. Lavrans wollte sich ungern von Skog, der sein eigener Erbhof war, trennen - dieser Hof war als Königsgabe an sein Geschlecht gekommen; doch wäre der Tausch in vieler Beziehung vorteilhaft für ihn gewesen. Aber auch Lavrans’ Bruder, Aasmund Björgulvssohn, wollte Skog gerne erwerben - er wohnte jetzt auf Hadeland, hatte dort durch Heirat einen Hof in seinen Besitz gebracht es war also ungewiß, ob Aasmund sein Erbrecht aufgeben wollte.
Aber eines Tages sagte Lavrans zu Ragnfrid, daß er dieses Jahr Kristin mit nach Skog nehmen wolle - sie solle doch den Hof sehen, auf dem sie geboren sei und der das Heim ihrer Väter gewesen sei, im Falle er nun aus ihrem Besitz ausscheiden sollte. Ragnfrid fand diesen Wunsch begreiflich, obwohl sie sich ein wenig ängstigte, ein so junges Kind auf eine so lange Fahrt zu senden, wenn sie nicht selbst dabeisein konnte.
Die erste Zeit, nachdem sie das Elfenmädchen
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