Kristin Lavranstochter 1
eine ewig lange Zeit auf der Reise. Sie hatten Verwandte und Freunde auf dem Wege durch das Tal besucht; sie war mit Kindern auf den Großhöfen zusammen gewesen und hatte in fremden Häusern und Scheunen und auf Hofplätzen gespielt, und sie hatte das rote Kleid mit den seidenen Ärmeln viele Male angehabt. Wenn das Wetter schön gewesen war, hatten sie tagsüber am Wegrande gerastet; Arne hatte Haselnüsse für sie gesammelt, und nach den Mahlzeiten hatte sie auf den Fellsäcken, in denen ihre Kleider waren, schlafen dürfen. Auf einem der Höfe waren seidenbezogene Kissen in ihrem Bett gewesen, eine andere Nacht aber hatten sie in einer Herberge geschlafen, und dort hatte in einem der anderen Betten eine Frau gelegen, die sie leise und jammervoll weinen hörte, sooft sie wach war. Jede Nacht aber hatte sie ruhig hinter dem breiten warmen Rücken ihres Vaters verbracht.
Kristin wachte plötzlich auf - sie wußte nicht, wo sie war, doch das seltsam klingende und dröhnende Geräusch, das sie im Traume vernommen hatte, hielt an. Sie lag allein in einem Bett, und in dem Raum, in dem dieses stand, brannte ein Feuer auf der Herdstätte.
Sie rief nach ihrem Vater, und er erhob sich vom Feuer, bei dem er gesessen hatte, und kam zu ihr hin, gefolgt von einer dicken Frau.
„Wo sind wir?“ fragte sie.
Und Lavrans lachte und sagte:
„Wir sind jetzt in Hamar, und das hier ist Margret, die Frau Farteins sutare* — du mußt sie schön begrüßen, denn du schliefst, als wir ankamen. Aber jetzt wird dir Margret beim Anziehen behilflich sein.“
„Ist es denn Morgen?“ fragte Kristin. „Ich glaubte, du gingest jetzt zu Bett. Ach, hilf doch du mir“, bat sie, aber Lavrans sagte ein wenig streng, sie solle sich lieber bei Margret dafür bedanken, daß diese ihr helfen wolle.
„Und schau, was sie da hat und dir schenken will!“
Es war ein Paar roter Schuhe mit seidenen Bändern daran. Die Frau lächelte über Kristins erfreutes Gesicht und zog ihr im Bett Hemd und Strümpfe an, so daß sie nicht barfuß auf den Lehmboden zu treten brauchte.
* Von sutor (lat.) der Schuster.
„Was ist das, was da so tönt“, fragte Kristin, „wie eine Kirchenglocke, aber wie viele Glocken?“
„Ja, das sind unsere Glocken“, lachte Margret. „Hast du denn nicht von unserem großen Münster hier in der Stadt gehört? -Dort sollst du nun hin. Da läutet die große Glocke. Und außerdem läutet es noch im Kloster und in der Kreuzkirche.“
Margret strich ihr Butter dick auf das Brot und gab ihr Honig in die Milch, damit sie besser davon gesättigt werde, denn es blieb ihr kaum Zeit genug zum Essen.
Draußen war es noch dunkel, und es war Frostwetter eingetreten. Der Nebel war so kalt, daß er ins Gesicht schnitt. Die Spuren, die Menschen und Pferde und Rinder in den Schmutz der Straße getreten hatten, waren hart wie gegossenes Eisen, und Kristin schmerzten die Füße in den neuen dünnen Schuhen; einmal trat sie in einer Furche mitten auf der Straße durch das Eis und bekam nasse und kalte Füße. Da hob Lavrans sie auf den Rücken und trug sie.
Sie strengte im Dunkeln ihre Augen an, konnte aber nicht viel von der Stadt erspähen - sie erkannte schwarze Hausgiebel und Bäume vor der grauen Luft. Dann kamen sie auf eine kleine Wiese hinaus, die von Rauhreif bedeckt war und schimmerte, und auf der anderen Seite der Wiese sah sie ein hellgraues Gebäude, so groß wie ein Berg. Ringsherum standen große Steinhäuser, und an verschiedenen Stellen schimmerte Licht aus Öffnungen in der Mauer. Die Glocken, die eine Weile geschwiegen hatten, fingen wieder zu läuten an, und jetzt war der Ton so stark, daß es ihr dabei wie Eis über den Rücken rann.
Es war, als ginge es in den Berg hinein, so schien es Kristin, als sie die Vorhalle der Kirche betraten; dunkel und kühl schlug es ihnen entgegen. Sie gingen durch eine Tür, und dort traf sie alter kalter Geruch von Weihrauch und Wachskerzen. Kristin befand sich in einem finsteren und gewaltig hohen Raum. Sie konnte in der Dunkelheit weder nach oben noch nach den Seiten ein Ende absehen, aber in weiter Ferne brannten Kerzen auf einem Altar. Dort stand ein Priester, und der Widerhall seiner Stimme huschte seltsam im Raum umher wie Atemstöße und Flüstern. Der Vater bekreuzte sich selbst und das Kind mit den in Weihwasser getauchten Fingern, und dann gingen sie nach vorn; obwohl er behutsam auftrat, klangen seine Sporen laut auf dem Steinboden. An riesenhaften Säulen gingen sie
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