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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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es gab keine Gerüchte.
    So standen sie auf dem Schulhof, so schlug es aus dem Uhrenturm, und so wurde der Stoff des Tages vermittelt, Elementaranalyse nach Liebig, Vererbung nach Mendel oder Geschichte und Gesellschaft – Fakten, für die keine Meinung nötig war.
    Und wo Meinung nötig war, waren die Lehrer ganz klar auf einer Linie. Wer gewarnt ist, sagten sie am Alten Gymnasium, kann sich rüsten, und um sich ein Bild über die neuen Gefahren zu machen, sagten sie, muß man querlesen und wissen, daß die Frankfurter Rundschau ein linkes Blatt ist. Der Spiegel ein selbstgefälliges Chamäleon, und daß es selbsternannte Intellektuelle gibt, die die FAZ als ein Instrument hinstellen, das mit seiner feinen Sprache Lügen für die Oberklasse installiert.
    So also sollten sich die Schüler eine Meinung bilden, und wer aus dieser Linie scherte, wurde schnell offenbart. Und daß es nicht nur eine Art gab, aus der Linie zu scheren, das hatte Achim-das-Tier bewiesen. Auch wenn die Lehrer es nicht direkt sagten, wußte jeder Bescheid, und so waren die Fakten am Alten Gymnasium kalibriert, und Meinung konnte zum Risiko werden. Also Werder gegen HSV , der vierte Onassis-Tanker war vom Stapel gelaufen, also Schiller gegen Goethe.
    Und die Clubjacken hockten lässig auf ihren Rollern; sie gaben sich wie Belmondo, sie gaben sich wie Brando, und die Patrizia von Katteneschs erschienen selbstbewußt und weltoffen wie Romy Schneider. Die Jungs machten abgeklärte Sprüche, einige Mädchen schminkten sich oder rauchten sogar, doch im Grunde scherte niemand von ihnen aus. Und einer wie Achim-das-Tier interessierte sie einfach nicht; sie sagten nichts, sie wußten nichts, und es gab keine Gerüchte.
    Willem hatte schon in der Grundschule gelernt, daß es Regeln gab, an die man sich hielt, ohne sie jemals auszusprechen. So war es von Anfang an ausgemachte Sache gewesen, daß der dicke Siegfried bei den Soldatenspielen gewinnen mußte, weil es jenseits dieser gewonnenen Schlachten um viel mehr ging. Auch auf dem Alten Gymnasium gab es diese Regeln, und jenseits davon ging es immer um mehr. Und als Patrizia von Kattenesch ihn eines Tages bei den Fahrrädern abpaßte, ahnte Willem schon, daß sie im Grunde nicht mehr wollte als damals der dicke Siegfried. Sie wollte gewinnen, und in ihrem Blick konnte er sehen, daß sie gewonnen hatte.
    Jetzt ist es ja amtlich, sagte sie.
    Willem schloß sein Rad auf und sagte nichts.
    Sie kam näher, und er spürte ihre Wirkung.
    Er schnallte seinen Tornister auf den Gepäckhalter und sah sie an.
    Sie warf ihren Kopf zurück, und die Verwirbelungen trafen ihn. Dein Freund, sagte sie. Er ist ein Krimineller.
    Von wem redest du?
    Das weißt du genau.
    Meine Freunde such ich mir selber aus.
    Sie lachte spöttisch.
    Er ist nicht mein Freund.
    So einer bist du also. Und sie verzog ihr hübsches Gesicht. Da hat er nun endlich einen Freund, und schon bei erster Gelegenheit verleumdet er ihn.
    Wenn du das so siehst, Patrizia.
    Sie lächelte jetzt, und Willem fand es erstaunlich, wie sie noch hinter ihrer Boshaftigkeit so anziehend wirken konnte. Als ob es jenseits von menschlicher Reinheit und Größe weit mächtigere Bereiche gab, und er stellte sich vor, sie anzufassen.
    Nun, sagte er.
    Und voller Genuß bog sie ihren Rücken und ließ den Busen vorspringen. Das Tier hat Ferdinand aufgelauert. Und ist mit einem Knüppel auf ihn los.
    Er lächelte, stellte sich sein Gesicht in ihrem Haar vor, seine Lippen auf ihrer Haut.
    Warum grinst du so blöd!
    Er wünschte sich, diese Aureole um ihren entblößten Körper zu sehen.
    Sie zog ihren Busen ein und sagte: Du bist eine Kreatur wie er.
    Wenn du das so siehst, Patrizia.
    Wie soll ich das denn sonst sehen, Willem Kronhardt.
    Er meinte, daß es möglich sein müßte, die Ursache ihrer Anziehung zu ergründen. Doch er glaubte nicht, daß er jemals genügend Gedanken aufbringen könnte, um sich ihrer Wirkung zu entziehen.
    Aus dem Hinterhalt also, sagte er dann. Und mit einem Knüppel.
    Genau so. Und sie lächelte wieder.
    Quatsch. Achim hätte sich diesem Lasalle gestellt. Auge in Auge. Oder er hätte ihm gleich den Hals abgeschnitten. Aber nicht so eine feige Nummer.
    Das ist doch pures Wunschdenken, Willem Kronhardt.
    Wunschdenken bleibt in deiner Nähe nicht aus, Patrizia.
    Und das Mädchen lachte. Da kannst du dir noch so viel

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