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Kruzifix

Kruzifix

Titel: Kruzifix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xaver Maria Gwaltinger
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Rate. Zehntausend. Die zweite kommt, wenn Sie den Fall gelöst und mir alles erzählt haben.«
    Ich steckte den Umschlag ein.
    »Wollen S’ nicht nachzählen?«, fragte er.
    »Einem Gauner wie Ihnen trau ich. Außerdem ist mir Geld wurscht«, log ich.
    »Dann können wir ja die zweite Rate vergessen.«
    »So wurscht auch wieder nicht!«
    »Also, pfüad Gott.«
    »Pfüad Gott. Jetzt mach ich einen schönen Mittagschlaf, und dann fang ich gleich mit der Arbeit an. Und Sie?«
    »Ich fahr nach Kempten, und dann nach Augsburg.«
    »Haben Sie eigentlich Familie, oder Kinder?«
    »Ich bin katholischer Priester«, sagte er.
    »Das beantwortet meine Frage nicht.«
    Er lächelte verschmitzt.
    »Doch.«
    So unsympathisch war er auch wieder nicht. Er war ein Kirchengauner, aber ein netter. Mit Humor. Nicht ganz verloren, wenn er Humor hat, dachte ich. Wer Humor hat, ist zu retten. Humor ist die Religion der Erlösten. Mal gelesen.
    Ich sah ihn den Berg hinabwandern. Kurz bevor er außer Sichtweite war, drehte er sich um und winkte.
    Ich winkte zurück.
    Ich hatte eine Idee. Aber die konnte ich erst umsetzen, wenn ich wieder einigermaßen nüchtern war und es dunkel wurde.

Näher, mein Gott, zu dir!
    Um sechs Uhr abends wachte ich wieder auf. Langer Mittagschlaf. Das Handy hatte mich geweckt.
    SMS .
    » B trifft zu. Theos Vater hat Familie mit zweiundvierzig verlassen. Verrückt. WR .«
    Armer Bub, der Theo. Vom Vater verlassen. Sein Lebensdrama. Er hat es nicht gewusst. Dass es sein Lebensdrama wird. Jetzt verlässt er mit zweiundvierzig das Land der Lebenden.
    Ich machte mir einen Espresso.
    Irish.
    Mit Whiskey. Jameson.
    Für den Kreislauf.
    Dann suchte ich im Keller des Bauernhauses ein Seil. Ein Bauernhaus muss ein Seil im Keller haben. Im Keller war eine Werkstatt. Ich fand ein Seil. Einen Kälberstrick. Er war etwas dünn, ich war nicht sicher, ob man sich damit erhängen konnte. Für meinen Zweck war er gut genug.
    Die Kirche unten in Tal war abgesperrt.
    Verdammt.
    Ich dachte, katholische Kirchen sind immer offen.
    Ich ging zum »Schwarzen Adler«.
    Fragte:
    »Wo wohnt der Messner?«
    »Der Adolf?«
    »Keine Ahnung, wie er heißt. Der Messner eben.«
    »Der arme Adolf!«
    Warum arm? Wahrscheinlich zahlen sie ihm für den Messner-Job einen Hungerlohn.
    Ich klingelte an seinem Haus. Eine verkommene Hütte. Alle Häuser in Tal waren neu. Wahrscheinlich gab es eine EU -Subvention für Renovierungen von versifften Bauernhütten. Und wahrscheinlich hatte er es nicht geschafft, das Formular auszufüllen und nach Brüssel zu schicken. Der Adolf. Oder sie hatten es abgelehnt. Wenn einer schon Adolf heißt.
    Die Tür öffnete sich einen Spalt.
    Ich schaute in ein Gesicht, das vom Tod gezeichnet war. Er musste Krebs haben. In den letzten zwanzig Jahren meines Berufslebens hatte ich Leute gesehen, die Krebs hatten, und da entwickelt man einen Blick, erstens für Krebs, zweitens für unheilbar. Beides traf zu. Er konnte dreißig sein oder vierzig oder sechzig oder sonst was. Er war jenseits jeden Alters. Hinüber. Jetzt erinnerte ich mich: Es war der Wichtel, der letzten Sonntag den Taler Thesenanschlag mit Filzstift an die Kirchentür gehämmert hatte: »Wegen Todesfall geschlossen«.
    Der Prostata-Adolf.
    »Entschuldigen Sie«, sagte ich, »sind Sie der Messner?«
    »Ja, warum?«
    »Ich muss dringend in die Kirche. Können Sie mir aufsperren oder den Schlüssel geben?«
    »Was wollen S’ denn in der Kirch?«
    »Was schauen.«
    »Das geht nicht.«
    »Das geht schon. Ich komm vom Bistum.«
    Ich hielt ihm meinen Ausweis vor die wächserne Krebsnase. Einen von den dreien.
    »Ah, jetzt erinner ich mich. Sie waren letzten Sonntag da, wo … das Unglück war. Von der Notfallseelsorge. Sie haben sich um die Olivia Obholzer vom Chor gekümmert. Wie geht’s ihr denn?«
    Was kümmert mich die Olivia Obholzer?, dachte ich, die graue Fregatte. Ich sagte:
    »Es geht schon wieder.«
    Ist nie verkehrt.
    »Hat sie was gesagt?«
    »Was soll sie gesagt haben?«
    »Warum sie umgefallen ist.«
    »Weil sie ohnmächtig geworden ist. Bewusstlos.«
    »Und warum?«
    »Wenn man bewusstlos ist, weiß man ja nichts mehr. Das ist das Problem. Ein Trauma.«
    »Ja, die hat immer geträumt, die Obholzer … Es kommt ja ein neuer Organist.«
    »Ach so. Warum? Kommt die Obholzer nimmer?«
    »Man sagt, sie soll einen Nervenzusammenbruch haben … sie sei in einer Nervenheilanstalt.«
    »In Kaufbeuren?«
    »Nein, weiter weg … im Ausland.«
    »Wo?«
    »Keine

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