Kruzifix
was anbrennen lassen. Keiner konnte ihm was nachweisen. Aber der Ruf … Er war nicht dumm. Er war intelligent. In jeder Beziehung. Wie gesagt, den Kopf vom Ratzinger, den Schwanz von Strauss-Kahn. Wir haben ihm die Rote Karte gegeben, wie man im Fußball sagt, ihn vom Feld genommen, um keinen großen Ärger zu kriegen. Bevor was passiert.«
»Vom Feld genommen und in die Berge geschickt. Ersatzbank Tal. Als gäb’s da keine Weiber!«
»Wir haben die Schwulenstory erfunden. Die geht in der Öffentlichkeit seit Jahren am leichtesten durch. Gehört fast schon zum guten Ton. Schwul sein. Besser als pädophil. Man hat sie uns abgekauft. Versetzung wegen schwul. Da können sich die Leut aufregen, aber nicht zu arg. Bei euch Protestanten gibt’s ja auch gerade die heiße Diskussion, ob Schwule im Pfarrhaus wohnen dürfen. Was wollt ihr denn damit vertuschen?«
»Ach, eine schwierige Geschichte. Diese Pfarrhaus-Schwulendebatte hat viele Vorteile. Erstens brauchen wir nicht über wichtige Sachen zu reden, zum Beispiel darüber, dass uns die Leute davonlaufen und dass uns das Geld ausgeht, weil wir es in alte Häuser stecken, die keiner benutzt. Und außerdem ist es für uns Protestanten die einzige Möglichkeit, über Sex zu reden. Schwule Paare im Pfarrhaus. Das regt die Phantasie an. Was die Schwulen da treiben im Pfarrhaus. Ausgefallenen Sex. Aber den haben die Pfarrersehepaare auch. Sex fällt aus. Und so gehen die Phantasien ins schwule Pfarrhaus. Was treiben die? Wie? Wie oft? Wie pervers? Das ist schön. Das beschäftigt die Leute. Inzwischen können die Kirchenoberen in Ruhe ihre nutzlosen Gebäude sanieren.«
»Hahaha.«
Willibald Rössle war sichtlich amüsiert.
»Dann geht’s euch auch nicht viel besser als uns … Also mit dem Theo, das hat ja bis jetzt ganz gut funktioniert.«
»Warum gerade jetzt? Das fragen wir Psychoanalytiker uns immer, wenn einer zur Behandlung kommt. Warum gerade jetzt? Warum passiert der Selbstmord gerade jetzt? Oder der Unfall? Oder der Schlaganfall? Oder der Herzinfarkt? Warum gerade jetzt?«
»Keine Ahnung. Zufall.«
»In der Psychoanalyse und im Glauben gibt es keine Zufälle. Wie alt war denn der Theo eigentlich?«
»Zweiundvierzig. Warum?«
»Und was war, als sein Vater zweiundvierzig war?«
»Warum, was hat das mit seinem Vater zu tun? Sein Vater war Italiener, aber er hat die Familie verlassen, er hat wohl Heimweh gekriegt, und … ich erinnere mich nicht mehr so genau … ich weiß nur, dass dem Theo sein Vater in Italien relativ früh verstorben ist.«
»Und wie alt war sein Vater, als der Theo kam?«
»Keine Ahnung.«
»Und wie alt war sein Vater, als er den Theo und seine Mutter verlassen hat?«
»Keine Ahnung. Was soll denn die Fragerei?«
»Schauen S’ doch einmal nach. Rein aus wissenschaftlichem Interesse. Es gibt ein Phänomen, das eine australische Psychoanalytikerin erforscht hat, sie heißt Averil Earnshaw. Sie hat herausgefunden, dass oft seltsame Sachen passieren, wenn wir in das Alter kommen, in dem der Vater oder bei Frauen die Mutter war, als etwas Wichtiges passiert ist.«
»Also … Was heißt jetzt das, ich komm nicht mit.«
»Schauen S’ einfach nach, was passiert ist, wie der Vater vom Theo zweiundvierzig oder um den Dreh rum war. Ich wett mit Ihnen jetzt eine Flasche von dem Tanqueray, den Sie da mitgebracht haben, dass dem Theo sein Vater mit zweiundvierzig den Theo gekriegt hat. Oder er hat die Familie mit zweiundvierzig verlassen. Oder Theos Vater ist mit zweiundvierzig gestorben. Eins von den dreien. Wetten, dass?«
»Gut, wetten wir. Ich lass es Sie wissen.«
»Und der Schnaps geht auf Spesen!«
Willibald Rössle lachte. Sagte:
»Ihr Protestanten seid immer aufs Geld aus! Hat schon der Max Weber gewusst: ›Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus‹.«
»Von irgendwas muss man ja leben …«
Willibald Rössle lachte wieder. Sagte:
»Es wird Zeit, dass ich mich aus dem Staub mach.«
Wir tauschten die Handynummern aus.
Er sagte:
»Nur mir berichten. Keinem anderen. Hoch vertraulich. Und vorerst nur mündlich und persönlich. Kein Schriftverkehr. Ich will wissen, was war, aber niemand darf es erfahren.«
»Warum nicht?«
»Wir haben schon ausreichend Ärger. Wir können keine öffentliche Untersuchung des Falles Amadagio brauchen. Wir haben genug schlechte Presse.«
Er langte noch mal in den Rucksack. Er legte einen Umschlag zwischen uns. Sagte:
»Apropos Kapitalismus. Hier ist das Kapital: erste
Weitere Kostenlose Bücher