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Kruzifix

Kruzifix

Titel: Kruzifix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xaver Maria Gwaltinger
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Ahnung.«
    Seltsam. Dachte ich. Ich sagte:
    »Also, geben S’ mir jetzt den Schlüssel?«
    »Ich sperr selber auf!«
    Wir gingen in die Kirche. Er wollte mir zuschauen, was ich mache. Ich wollte ihn loshaben, sagte:
    »Ich komm schon zurecht. Gehen S’ jetzt wieder heim.«
    »Ich kann Ihnen behilflich sein.«
    »Ich muss allein sein. Spirituelle Übung. Meditation. Geisterbeschwörung. Sie verstehen: den Geist des Toten …«
    Er bekam große Augen.
    »Ja, ich geh schon.«
    »Ach, übrigens«, sagte ich, als er schon an der Tür war, »Sie haben dem Pater Theo seinen Abschiedsbrief gefunden, glaub ich.«
    »Ja.«
    »Wo?«
    »In der Sakristei. Er ist auf dem kleinen Tisch gelegen.«
    »Wann?«
    »Ja, halt wie die Sanitäter da waren, und die Notärztin, da hab ich den Zettel auf dem Tisch liegen sehen.«
    »Es war ein Briefumschlag?«
    »Nein, es war ein Zettel. Mit Maschine geschrieben.«
    »Und was stand drauf?«
    »Ja, dass er halt Schluss macht.«
    »Und wo ist der Zettel jetzt?«
    »Die Notärztin hat ihn mitgenommen, sie hat gesagt, sie braucht ihn.«
    »Wann haben Sie denn den Pater Theo zum letzten Mal lebend gesehen?«
    »Am Samstagnachmittag. Gegen Abend. Da hat er in der Sakristei was hergerichtet für Sonntag, dann hat er gesagt, ich kann heimgehen, er macht schon alles fertig, und ich brauch erst am nächsten Morgen zur Messe wiederkommen. Das war mir ganz recht. Weil wir haben Samstagabend noch Schafkopf gespielt, und da wird es immer später und man trinkt halt was …«
    »Und dann, am Sonntag?«
    »Da hab ich ihn nicht mehr gesehen. Ich geh immer erst um halb neun die Kirche aufsperren, weil ich alles am Samstagabend schon fertig mach für die Messe. Aber die Obholzer war an dem Sonntag ja schon so ewig früh da, die kommt sonst auch erst um halb neun rum. Die blöde … Den Pater Theo hab ich nur unterm Leintuch gesehen, wie ihn die Sanitäter herausgetragen haben.«
    »Und wissen Sie, an was er gestorben ist?«
    »Herzinfarkt, sagt man. Er hat halt zu viel gearbeitet, unser Hochwürden.«
    »Ah so … Also gut, ich mach jetzt meine … ah … Meditation. Und wenn ich fertig bin, sperr ich die Kirche ab und bring Ihnen die Schlüssel rüber ins Haus.«
    »Hm.«
    Ich wusste nicht, ob »Hm« ja oder nein hieß. Jedenfalls verschwand er.
    Es war dämmrig, halb dunkel, halb hell.
    Ich suchte nach einer Leiter. Irgendwo musste eine Leiter liegen, damit sie die Lampen an der Decke überm Alter auswechseln konnten, und überhaupt. Ich suchte eine Viertelstunde und fand dann eine Klappleiter aus Alu auf der Empore bei der Orgel. Ich schleppte sie runter in den Altarraum. Da heißt es immer, Alu sei leicht. Ich war froh, dass ich jeden Tag Liegestützen und Klimmzüge machte. Trotzdem schwitzte ich wie eine Sau, als ich sie aufgestellt hatte.
    Die Kirche war so ähnlich wie die Wieskirch, fast gleich. Barock. Gold. Pomp. Der Altar war neu. Er sah aus wie der Waschtisch in der Waschküche meiner Oma oder wie ein Wickeltisch am Franz-Josef-Strauß-Flughafen in München, so ein Teil, das seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in allen Kirchen im Weg steht. Darüber hing ein großes Kreuz aus Holz, zweite Hälfte 20.   Jahrhundert, mit einem großen holzgeschnitzten Christus. Es passte nicht ins barocke Ambiente. An dem Kreuz hatte er also gehangen. Der Theo. Falls die Obholzer keine Halluzinationen gehabt hat.
    Ich dachte, ich versuche mal, mich selber aufzuhängen. Dann kriege ich ein Gefühl dafür, wie das so zugegangen sein könnte.
    Ich stellte die Leiter auf, nahm meinen Strick und stieg vorsichtig Sprosse um Sprosse hinauf.
    Es wurde langsam dunkel, aber ich wollte kein Licht anschalten. Zuschauer waren das Letzte, was ich brauchen konnte. Die Leiter wackelte wie ein Kuhschwanz. Scheiße, da brauch ich mich nicht aufzuhängen, wenn ich Pech habe, haut es mich da runter und ich brech mir das Genick.
    Ich stand auf der letzten Stufe der Leiter. Ich reichte dem Christus gerade bis an die Brust. Ich hielt mich mit beiden Händen an seinem Korpus fest, sonst wäre ich runtergefallen. Der Christus war zu hoch, die Leiter war zu kurz. Ich hätte eine dritte Hand gebraucht, um mir das Seil um den Hals zu legen, und selbst wenn ich das Seil schon um den Hals hätte, dachte ich, hätte ich keine Hand mehr frei, um es oberhalb vom Christus oder auch um seinen Hals zu befestigen.
    Das alles dachte ich, als ich an der Brust des Christus hing, gestützt von der wackeligen Leiter, die zu kurz war. Ich probierte noch

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