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Kruzifix

Kruzifix

Titel: Kruzifix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xaver Maria Gwaltinger
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gerichtsmedizinisch untersucht.«
    »Nein, nicht von der Polizei.«
    »Von wem dann?«
    »Wir haben da unsere Quellen … Hier, lesen Sie!«
    Ich las:
    »Ich pack es nimmer. Deshalb scheide ich aus meinem sündigen Leben.«
    Ich sagte, halb zu mir selber:
    »Times New Roman, Größe vierzehn, PC -Ausdruck. Auf ein DIN - A 4 -Blatt geschrieben, in der Hälfte abgerissen.«
    Willibald Rössle sagte:
    »Das ist untypisch! Der Theo hat es nicht so gehabt mit den Computern. Er hatte oft Ärger, als er noch Student war. Er hat seine Arbeiten immer in Handschrift abgegeben. Schwer leserlich. Und später auch. Ich hab ihm gesagt: Ich will die Urlaubsanträge und alles Büromäßige auf Maschine geschrieben. Ganz früher hat man ja noch mit der Schreibmaschine geschrieben. Später mit Computer. Er hat alles mit Hand geschrieben. Immer. Mit seinem Füller. Ich glaub, der ist mit seinem Füller ins Bett gegangen.«
    »Vielleicht hat er’s seiner Sekretärin diktiert?«
    »So blöd war der wirklich nicht. Den Abschiedsbrief seiner Sekretärin diktieren. Schnapsidee.«
    »Apropos Schnaps: Ich kann nur klar denken, wenn ich einen Klaren im Kopf habe.«
    Er reichte mir die Flasche. Der Frühschoppen gefiel mir mit jedem Schluck besser.
    »Und außerdem, er hat die Sprache geliebt. Er war narzisstisch in seine Formulierungen verliebt, wenn Sie verstehen, was ich meine. Die Leute haben immer gesagt, wie schön er gepredigt hat. Wenn man gefragt hat, was er denn gesagt hat, haben sie es nicht gewusst. Aber schön war’s. ›Ich packe es nimmer. Deshalb scheide ich aus meinem sündigen Leben.‹ Hören S’, das klingt wie im Tegernseer Bauerntheater.«
    »Stimmt. Das heißt: Der Abschiedsbrief ist vielleicht gar nicht von ihm.«
    »Genau. Passt einfach nicht. Er hat schreiben können. Aber nicht Bauerntheater. Wissenschaftlich. Auch lyrisch. Künstlerisch. Gedichte. Und nicht nur deutsch … Er hat was Italienisches in seiner Schreibmelodie gehabt. Er hat auch seine Dissertation auf Italienisch geschrieben. Er hat am Angelicum in Rom studiert. Summa cum laude. Eins mit Stern, hieß es in der Schule.«
    »Ohhhh! Hut ab. Am Angelicum. Bei den Dominikanern. Ein echter Hundling, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    »Ja, die domini canes . Die Hunde des HERRN . Sie kennen das Angelicum ja. Sie waren ja 2008 da. Internationaler Bion-Kongress.«
    »Ich glaube an Willibald, den Allwissenden …«
    »Verarschen kann ich mich selber. Geben S’ mir den Schnaps wieder her!«
    Er nahm einen Schluck. Er menschelte. Gefiel mir immer besser.
    Ich sagte:
    »Das ist ein echter Knaller. Der Theo. Dr.   Datschi. Über was hat er sich denn ausgelassen auf Italienisch in seiner Diss?«
    »Caritas, Eros und Agape in der Rezeptionsgeschichte der paulinischen Theologie im Italien des 13.   Jahrhunderts.«
    »Oh. Warum gerade des 13.   Jahrhunderts?«
    »Keine Ahnung. Die anderen Jahrhunderte waren wahrscheinlich alle schon erforscht … Aber das 13.   Jahrhundert passt auch wieder zu ihm und seinem Faible für die Frauen. Das 13.   Jahrhundert war theologisch das Jahrhundert der Frauen. Die Frauenklöster. Die Mystik. Die Theologie wurde feminin. Und erotisch. Gertrud von Helfta. Mechthild von Magdeburg. Marguerite Porète. Die jungen Frauen vermählten sich mit ihrem Geliebten, dem Christus. ›Heilige Hochzeit‹. Heiße Sache. Die erste erotische Theologie entstand … Ja, das passt zum Theo. Der und die Weiber …«
    »Aber sagen S’, wie kommt es, dass dieser gescheite, feinsinnige Theologe in Tal landet? Er hätte doch mindestens schon Erzbischof von München und Freising oder Köln sein können. Oder wenigstens Duisburg.«
    »Ja, das ist so eine Geschichte. Der Theo hatte einen Kopf wie der Ratzinger. Aber …«
    »Aber?«
    »Unter uns gesagt: einen Schwanz wie der Strauss-Kahn.«
    »Ah, da schau an! Da gibt’s doch in der Bergpredigt ein patentes Rezept: Wenn dich dein Auge ärgert, reiß es aus … und die Hand auch, und von der Hand zum Schwanz ist es ja nimmer so weit …«
    »Wenn’s ihn nur geärgert hätt! Uns hat er damit geärgert!«
    »War er schwul? Wie die Männer hier sagen.«
    »Schön wär’s gewesen. Er galt als schwul. Aber das war nur ein lanciertes Ablenkungsmanöver. In Duisburg war er nicht mehr zu halten. Wir mussten ihn in Sicherheit bringen. Die Weiber sind auf ihn geflogen.«
    »Und das hat sich auf eure Alimentenkasse ausgewirkt? Zu teuer geworden, die Kindlein?«
    »Nein, das nicht. Kein einziges. Er hat nie

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