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Kruzifix

Kruzifix

Titel: Kruzifix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xaver Maria Gwaltinger
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drei. Wenn man unter Druck ist, wird man abergläubisch.
    Der Kaffee um fünf war wirklich hervorragend. Nach Pommes war mir um diese Zeit noch nicht. Dafür noch ein Kaffee. Eine Zigarette. Vor dem McDonald’s. Erstaunlich, wie viele Menschen morgens um fünf schon wach sind.
    Ich setzte mich ins Auto. Blies den Rauch meiner Gauloise gegen die Scheibe. Gauloises. Die Gelben. Die Gesunden. Schaute in den Rückspiegel. Betrachtete mein neues Piercing. Muss ich unbedingt meiner Nachbarin zeigen. Vielleicht lässt sie mich dann ihres am Bauch sehen.
    Unter Druck wird man kindisch. Regression, analysierte ich. Wer will schon kindisch sein? »Regrediert« ist nicht ganz so peinlich. Temporäre Regression. Im Dienste des Ich. Psycho-Blabla.
    Hauptsache, es hilft.
    Mein Blick blieb im Rückspiegel hängen. Ich erwachte mit einem Ruck aus meiner temporären Regression. Ich sah im Rückspiegel zwei Autos nebeneinander einparken. Die Tür des schwarzen Audi ging auf. Die Fahrerin stieg aus. Blond … jung … War das nicht?! Die Tür des silbernen Mercedes ging auf. Der Fahrer stieg aus. Älter. Grau. Groß. Randlose Brille. Anthrazitgrauer Anzug. Weißes Hemd. War das nicht?! Er ließ die Autotür zufallen, ging auf die blonde Frau zu, sie umarmten sich. Bussi Bussi. Er fasste sie um die Taille, sie schmiegte sich an ihn, vereint verschwanden sie im McDonald’s.
    Meine Schmerzen waren weg. Weggeblasen. Mein Mund offen. Das gibt’s doch nicht!
    Ich lachte laut auf. Sagte:
    »Jetzt hab ich dich am Sack, du katholischer Windbeutel. Jetzt g’hörst der Katz. Jetzt kommst mir nicht mehr aus!«
    Was für ein wunderbarer Morgen.
    Morgenrot. Leuchtest mir zum frühen Tod.
    Von wegen! Quicklebendig war ich wieder.
    All Morgen ist ganz frisch und neu …
     

Red nie mit einem fremden Mann!
    Ich verschlief den Sonntag Trinitatis.
    Zwischendurch erwachte ich immer wieder.
    Schreckte auf.
    Hörte Riesentraktoren hinter mir. Mit Sichelmähwerk am Heck.
    Spürte die Messer in den Kniekehlen.
    Rettete mich über Weidezäune.
    Fiel von Leitern.
    Ohren wurden mir ausgerissen.
    Mein Piercing tobte.
    Mit Jameson wurde es auch nicht besser.
    Aber die Angst war weg. Solange es hell war.
    Draußen brummten und wummerten die Heumaschinen. Die Bauern wollten vor den Gewittern noch Heu machen. Auch sonntags.
    Immer wieder sonntags kommt die Erinnerung …
    Zur Kaffeezeit stand ich auf. Ich brauchte noch Bewegung. Damit ich nicht die ganze Nacht wach lag.
    Ich ging hinunter ins Dorf. Suchte die Stelle, wo ich gestern Nacht aus dem Weg geräumt werden sollte.
    Ich fand sie leicht.
    Ein Fetzen Stoff von meiner Jeans hing noch am Stacheldraht.
    Das Gras am Wegrand war knöchelhoch abgemäht.
    Zwei Pflöcke aus dem Stacheldrahtzaun fehlten.
    Sauber umgemäht lagen sie im Gras.
    Mit wurde schlecht.
    Dich wenn ich erwisch!, dachte ich. Aber wer war »dich«? Rachegedanken beruhigen. Die Angst.
    Ich schlenderte durchs Dorf. Fiel nicht auf. Badegäste kamen mit Sonnenschirmen und Eistaschen und Klappliegen und Sonnenbränden wie Hummer vom See. Schaute unauffällig die Schilder an den Hausklingeln an.
    In der Nähe der Kirche.
    »T & T Hammer« stand neben einer Klingel an der Gartentür vor einem heruntergekommenen Haus.
    Von drinnen kam Kindergeschrei.
    Und Hundegebell.
    Scheiße. Vor den Kindern fürchtete ich mich nicht.
    Eine jüngere Frau hängte Wäsche auf eine Spinne. Sie hatte ihr schwarzes, kräftiges Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden.
    Toni & Toni.
    Partnerlook.
    Oder Familienkrankheit.
    »Sie! Toni!«, rief ich.
    Sie schaute sich erstaunt um.
    »Was wollen Sie denn hier? Wenn S’ aufs Klo müssen, gehen S’ zum ›Schwarzen Adler‹ oder runter zum Kiosk an See!«
    »Ich will mit Ihnen reden.«
    »Mit mir?«
    »Ja.«
    »Warum?«
    »Vertraulich!«
    Sie ließ ihren Waschkorb stehen.
    »Ich sperr bloß schnell den Hund weg.«
    Danke. Ich atmete tief durch.
    Drinnen wurde das wütende Hundegebell gedämpfter, eine Tür fiel ins Schloss.
    Sie kam zum Gartentor.
    »Wer sind Sie?«
    Ich zog eine von meinen drei Karten.
    »Polizei? Ich weiß von nix.«
    »Wieso, erwarten Sie Polizei?«
    »Nein, einfach so.«
    »Ich komm von der Kirche. Diözese Kempten, Bistum Augsburg. Es ist wegen der Sache letzten Sonntag, dem Pfarrer …«
    Sie schaute sich besorgt um.
    »Kommen S’ rein.«
    Ich folgte ihr in eine Art Stube. Küchenzeile. Geleimtes Sperrholz. Ecktisch. Resopal. Fernseher. Tiefbild. Tief wie ein Kühlschrank. Alles noch aus der Zeit vor

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