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Kruzifix

Kruzifix

Titel: Kruzifix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xaver Maria Gwaltinger
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Verdauung an.
    Ich durfte nicht lachen, sonst wär ein Unglück passiert.
    Ich steuerte auf das Ospedale zu.
    Hinein.
    Keiner hielt mich auf. Ich hatte meinen Krankenhausschritt drauf.
    Da müsste das Klo sein.
    Da war es.
    Ohhhhhh …!
    So dringend war es in der Kemptener Unfallambulanz nicht.
    Eine Menge Leute saßen herum.
    Verbunden. Aufgeschürft. Bleich.
    »Ich hab mich am Ohr verletzt«, sagte ich zu der Schwester an der Anmeldung. »Und Tetanusimpfung brauch ich wahrscheinlich auch.«
    Sie schaute auf mein vollgeblutetes Handtuch um den Hals.
    Nickte.
    Sie fragte:
    »NameGeburtsdatumBeruf?«
    Ich sagte ihr NameGeburtsdatumBeruf:
    »Seelsorger.«
    Sie schaute mich misstrauisch an.
    »Wohnort?«
    »Biselalm.«
    »Geht da die Post hin?«
    »Ja. Täglich. Mit dem Auto. Wenn’s nicht zugeschneit ist. Warum?«
    »Wegen der Rechnung. Hausarzt?«
    »Hab ich keinen.«
    »Wie, hab ich keinen? Jeder hat einen Hausarzt.«
    »Wirklich? Ich nicht. Ich bin nie krank.«
    Sie schaute mich an, als wollte sie mich gleich in die Psychiatrische überweisen.
    »Ohne Hausarzt geht’s nicht. Wir müssen einen Arztbrief schreiben.«
    »Ich bin privat versichert.«
    »Ah so?! Das ist was anderes.«
    Warum?
    Verkniff ich mir. Hauptsache, ich kam dran.
    »Bitte warten.«
    Sie nickte auf die Stuhlreihen hin.
    Ich machte mich auf eine Wartezeit von zwei bis drei Stunden gefasst.
    Ich hatte nichts zum Lesen dabei.
    Nichts zum Schreiben.
    Nichts.
    Ich bin ein schlechter Warter.
    Ich schaute mich um.
    Allerhand Leute.
    Ich könnte die Zeit nutzen und Notizen machen.
    So tun, als wäre ich Schriftsteller. Ich habe gelesen, die haben immer ihren Notizblock dabei. Wenn sie einen Einfall haben. Im Kopf. Gleich notieren.
    Ich ging noch mal zur Aufnahme.
    »Schwester …«, ich schaute nach dem Namensschild, »Schwester Andrea, entschuldigen Sie, hätten Sie mir einen Zettel und einen Bleistift?«
    »Was?!«
    Das »Was« klang nach: Nein, so eine Unverschämtheit, wie können Sie nur …
    Ich kippte meinen Kopf charmant auf die Seite, setzte mein debiles Seelsorgerlächeln auf, sagte:
    »Damit ich Notizen machen kann für die Predigt am Sonntag.«
    Sie schaute wie die Kälber auf den Almen, an denen ich immer vorbeijogge.
    »Sonntag Trinitatis!«
    Sie schüttelte den Kopf, griff nach dem Verlangten und sagte:
    »Da, Kugelschreiber und ein Blatt Papier. Zettel und Bleistift gibt’s nimmer. Einundzwanzigstes Jahrhundert.«
    »Dankschön. Aber die Leut in der Kirch sind meistens aus dem zwanzigsten Jahrhundert. Erste Hälfte zwanzigstes Jahrhundert.«
    Ihr Gesicht verzog sich, sie wollte nicht, dass ihr ein Lacher auskommt.
    Ich setzte mich, schaute, notierte. Belangloses Zeug. Eigentlich war es völlig wurscht, was ich notierte. Wichtig war: Ich war wieder wer. Ich saß nicht wie die anderen Deppen da, wie auf der Schlachtbank. Ich war der Reporter.
    Ich konnte mir schon immer Sachen gut einreden.
    »Bär.«
    Ich schaute, welcher Bär aufgerufen war; witzig, dass zwei Bären da waren.
    »Bär!«, kam es verschärft, als sich kein Bär erhob.
    Vielleicht war ich gemeint, aber ich war doch noch gar nicht dran.
    Ich stand zögernd auf, ging in die Richtung, aus der gerufen worden war.
    »Herr Bär? Emil Bär?«, fragte die Krankenschwester.
    Es war eine andere. Nicht die für die Anmeldung. Die für die Behandlung.
    Sie schob mich in einen Untersuchungsraum. Ich musste mich auf eine Liege legen. Ich blieb sitzen, auf der Liege, warum sollte ich mich legen, ich hatte ja nichts an den Füßen, sondern am Ohr.
    »Die Ärztin kommt gleich.«
    Ich dachte, ich krieg einen Schlag, als ich die Ärztin sah.
    »Sie?! Sie waren doch am Sonntag … die Notärztin, die mich angemault hat …«
    »Der Herr Seelsorger gibt uns die Ehre. Der Herr Bär. Privatpatient ohne Hausarzt.«
    »So schnell spricht sich das rum?«
    Sie war zwar immer noch scharfzüngig, aber nicht mehr so geschnappig wie am Sonntag. Vielleicht war ihre Regel vorbei.
    »Oh, Herr Bär, was haben S’ denn da angestellt … Das Ohr … Ja, ja, ich komm schon nicht hin, das tut weh am Ohr, ich weiß.«
    Woher wusste sie das? Ihre Ohren waren mit gefälligen blonden glatten Haaren verhangen. Vielleicht hatte sie keine Ohren mehr? War sie auch unter eine Mähmaschine geraten? Sprach sie aus Erfahrung? Sie hatte klare, strenge, aber anmutige Gesichtszüge. Erinnerte mich an jemanden. An wen nur?
    Sie sagte zu der Schwester:
    »Schwester! Waschen, desinfizieren.«
    Zu mir sagte sie:
    »Das brennt

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