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Kruzifix

Kruzifix

Titel: Kruzifix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xaver Maria Gwaltinger
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gleich ein bisschen. Wir reinigen die Wunde, und dann klammern wir das Ohrwatschel wieder hin, nähen braucht’s nicht.«
    Gott sei Dank.
    »Waschen müssen Sie sich dann selber.«
    Die Schwester tupfte mir Zeug auf die Wunde.
    Ich schrie auf:
    »Kruzifix noch amal! Was ist denn des für ein Hurenglump, was ihr da habt’s! Brennt wie der Teufel!«
    So musste es sein, wenn einem die Ohren abgeschnitten werden.
    »Da kann man ja einen Ochs damit kastrieren, Herrgottsakrament!«
    »Schon vorbei«, sagte die Schwester.
    Die hatte keine Ahnung. Es tobte und pochte. Mein Herz schlug rasend schnell, und es schlug direkt in meinem Ohr. Wie ein Rockkonzert mit Prügelei.
    Die Ärztin kam wieder.
    Ihr Namensschild sagte, dass sie auf den Namen Vasthi getauft worden war. »Dr.   med. Vasthi Graf«.
    Ich dachte: Was für Idioten von Eltern die wohl hat. Einem Kind so einen irren Namen geben. Vasthi!
    Ich sagte:
    »Hübscher Name, den Sie da tragen. Ihre Frau Mutter war wohl Theologin, Feministin und hieß Esther.«
    Ihr fiel der Kinnladen herab. Dann fing sie sich und sagte, wieder schnippisch, typisch vasthianisch:
    »Meine Mutter IST Theologin, Feministin und HEISST Esther. Professorin für Feministische Religionswissenschaft, wenn Sie’s genau wissen wollen.«
    » DIE Professorin Esther Graf von der Uni Konstanz?!«
    »Genau die!«
    Ich sagte:
    »Meine Verehrung!«
    Ich dachte: So blöd kann nur eine feministische Theologin sein, ihr Kind Vasthi zu taufen.
    Ich sagte:
    »Die Vasthi aus dem Buch Esther aus dem Alten Testament hat sich geweigert, vor den besoffenen Saufkumpanen ihres Alten zu tanzen. Obwohl der König war.«
    Sie sagte:
    »Genau. Das tät den Männern so passen. Nach ihrer Pfeife tanzen.«
    Ich sagte:
    »Und haben Sie auch einen Vater?«
    Sie sagte:
    »Bin ich das Christkind?«
    Ich lachte. Von wem sie den Humor hatte? Sicher nicht von ihrer Mutter.
    »Sie sind nicht das Christkind, aber immerhin können Sie mein Ohr heilen.«
    »Ja, ich hefte es jetzt zusammen. Zwei Klammern. Sieht dann aus wie Piercing. Brauchen S’ eine örtliche Betäubung? Sonst tut’s ein bisschen weh.«
    Ein bisschen weh wie die Desinfektion.
    »Nein, brauch ich nicht. Ich halt das schon aus. Schlimmer kommt’s nimmer. Ich denk an meine Nachbarin.«
    »Wieso?«
    »Die hat auch ein Piercing. Die hat das auch aushalten müssen. An ihrer Wampe.«
    »Wo?«
    »Am Bauch. Bauchnabel.«
    Dr.   med. Vasthi Graf lachte.
    Ich war erstaunt. Dass sie das auch konnte.
    »Wie ist denn das passiert?«, fragte sie, und machte ein Gerät fertig, das aussah wie der Hefter auf meinem Schreibtisch. »Sind S’ in eine Schlägerei hineingeraten?«
    »Nein, ich schlage mich nicht. Nie. Ich kann schnell laufen. Von früher her noch. Fußball. Nein, ich bin in keine Schlägerei hineingeraten. In was anderes. Ich war heut Abend im ›Schwarzen Adler‹. Den kennen Sie ja. Die Wirtschaft schräg vis-à-vis von der Kirch in Tal, wo letzten Sonntag …«
    »Ich weiß.«
    »Ich trink ein paar Halbe. Und dann geh ich rauf zur Alm, da oben …«
    »Ich weiß.«
    »Aber Sie wissen nicht, was dann passiert ist?!«
    »Nein.«
    »Au! Herrgottsakramentnochamalnei, hört denn die Tortur nimmer auf!«, schrie ich.
    »Das war die erste Klammer. Gleich vorbei.«
    Sie hantierte ungerührt weiter an meinem Ohr herum. Fragte:
    »Und was ist dann passiert?«
    »Da kommt so ein Volldepp auf einer riesen Landmaschine, volles Tempo, alle Scheinwerfer an, zweimal so breit wie der Weg. Ich weiß nicht wohin, er bremst nicht, wird immer schneller, mir bleibt nichts anderes übrig als ein Sprung über den Weidezaun. Kein elektrischer, einer mit Stacheldraht. Alter Stacheldraht. Dem Rost nach Erster Weltkrieg. Krupp.«
    »Aber der Weltkrieg ist doch schon über sechzig Jahre vorbei.«
    »Ja, der Zweite.«
    »Ah, und der Erste?«
    Was lernen die jungen Dinger heutzutage in der Schule und auf der Uni?
    »Ist ja wurscht«, sagte ich. »Kleiner Spaß.«
    »Ah so … Und wer war das, der Volldepp?«
    »Keine Ahnung. Den Hurenhund wenn ich erwisch. Ich hab mein ganzes Bier gespieben und den Schnaps dazu. Der Volldepp …!«
    »Oder die … ich mein der oder die … eine Frau?«
    »Ah, den g’schissenen Feminismus gibt’s auch in Kempten? Der Bulldog. Die Bulldogge. Der Schrank. Die Schranke. Der Volldepp, die … Es kann keine Frau gewesen sein, weil es keinen weiblichen Volldepp gibt, nicht einmal einen Depp. Deppin? Der Depp ist immer noch ein Mann.«
    »Da geb ich Ihnen ganz

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