Kruzifix
recht.«
Oh … Eigentor!
Sie:
»Aber Bäuerinnen können so was auch fahren. Seit dem Zweiten Weltkrieg.«
»Nein … es war keine Frau … eine Frau fährt nicht so hirnrissig brutal … Und wenn Frau … welche? Ah, da fällt mir ein, ich glaub, der Typ am Steuer hat eine längere Mähne gehabt, ich hab da so einen Schatten gesehen … Aber nein, es war Nacht … So ein Depp!«
»Und dann ist er oder sie weiter?«
»Volles Karacho.«
»Glauben Sie, dass es Absicht war? Vielleicht hat sie Sie in der Nacht einfach übersehen.«
»Glaub ich nicht. Bei der Flutlichtanlage. Ich wett mit Ihnen was, wenn ich eine Kuh gewesen wär, hätt er gebremst. Oder sie. Kein Bauer fährt eine Kuh zusammen. Nicht mal nachts. Auch keine Bäuerin.«
Sie traktierte immer noch mein Ohr.
»Au! Verreck noch amal! Hört das nimmer auf?«
Mein Ohr wurde schon wieder abgerissen.
»Schon vorbei«, sagte sie.
Woran erinnerte mich ihr Gesicht?
»Haben Sie denn Ihre Predigt fertig gekriegt beim Warten?«
»Bei euch spricht sich wohl alles gleich rum.«
»Wir reden halt miteinander …«
»Weil wir grad beim Reden sind: An was ist denn der Pfarrer von Tal letzten Sonntag eigentlich umgekommen?«
»Warum fragen Sie mich? Sie wissen es doch. Sie haben doch die Organistin beseelsorgt, und die hat ihn zuerst gesehen.«
»Und hat es keine Autopsie gegeben, in dem Fall … ich mein …?«
»Weil er sich aufgehängt hat?«
»Falls er sich aufgehängt hat.«
»Gehängt ist er auf jeden Fall … Sagt die Organistin.«
»Glauben Sie ihr nicht?«
»Sie ist nervlich etwas labil.«
»Spinnt?«
Unwirsch sagte sie:
»Ach … was geht mich das an?! Ich war nur im Notarzteinsatz. Die Feuerwehr hat den Leichnam gleich abgehängt. Er ist auf dem Kirchenboden vor dem Altar gelegen, wie ich gekommen bin. Ich hab nur noch den Tod feststellen können. Durch Herzversagen. Ganz klar.«
»Ja, klar, wenn man sich aufhängt, hört irgendwann das Herz auf zu schlagen. Oder wenn man aufgehängt wird. Oder wenn …«
Sie schaute sich um, sagte leise:
»Psst! Das ist nichts für die Öffentlichkeit. Es wird schon genug getratscht in Kempten und in Tal …«
Laut, sozusagen für die Öffentlichkeit, sagte sie:
»Jetzt kommt noch die Tetanusspritze. Tun S’ bitte Ihr Gesäß frei machen.«
»Die Hose runter? Hier?«
Ich wurde rot.
Sie lachte.
»Ist doch nix dabei.«
»Geht’s nicht auch in den Arm?«
»Bei uns in Kempten wird in den Arsch gespritzt. Jetzt stell di net so an wie die Kuah beim Soicha!«
Oha! Sie kann auch einheimisch, die Frau Doktor! Die Kuah beim Soicha. Das Rind beim Urinieren.
Sie pikste mich unterhalb des Gürtels in den rechten Gesäßmuskel, ich hatte die Hose so wenig wie möglich nach unten geschoben. Scham aus dem 20. Jahrhundert, erste Hälfte.
»So. Jetzt sind wir fertig … Passen S’ gut auf sich auf, Dr. Bär!«
»Woher wissen Sie eigentlich von meinem Doktor?«
»Ach, ich hab halt einfach gedacht …«
»Wegen meiner gewählten Ausdrucksweise können Sie jedenfalls nicht draufgekommen sein.«
»Vielleicht wegen Ihrer hohen Stirn.«
»So hoch wie bei den Ochsen …«
»Jetzt setzen Sie sich noch eine Weile hin, in dem Zustand ist Autofahren gefährlich, und dann trinken S’ einen Kaffee, bevor Sie zurückfahren. Wegen dem Kreislauf.«
»Gibt’s hier in dem Laden um die Zeit Kaffee?«
»Sie meinen hier im Krankenhaus? Nein, nur vom Automat, aber der McDonald’s am Bahnhof, der macht im Sommer immer schon um fünf in der Früh auf. Der hat einen ordentlichen Kaffee. Ist ja nicht mehr lang hin.«
»Und wie lang geht Ihre Schicht noch?«
»Nimmer lang. Alles Gute. Viel Glück. Und passen S’ auf sich auf!«
»Ja, ja. Auf Wiedersehen!«
»Hoffentlich nicht. Tschüs.«
Nette Person. Jung, geschnappig, aber doch ganz nett. Keine Ahnung vom Krieg, aber … wirklich ganz nett. Und für ihre verrückte Alte kann sie ja nichts. Vasthi! Wasti. Wastl.
Es war nach vier. Der Morgen dämmerte von Osten. Der Himmel wurde rot.
Morgenrot, leuchtest mir zum frühen Tod.
In meiner Schule wurde noch was gelernt!
Bald wird die Trompete blasen,
dann muss ich mein Leben lassen.
Ich und mancher Kamerad.
So muss es gewesen sein, wenn sie aus dem Krieg gekommen sind. Übernächtigt.
Müde.
Geschunden.
Geschockt.
Wie ich.
Ich steuerte den Bahnhof an. Ich konnte sowieso nicht schlafen. Am Bahnhof war ich in Sicherheit. In Tal nicht. Erst die Leiter. Dann der irre Traktor. Aller guten Dinge sind
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