Kryptum
Rachel. »Das ist ein Statement fürs Protokoll. Wie mir meine Kollegen erzählt haben, sitzt der Vatikan nicht mit am Tisch, weil man in Rom schon eine eigene Verschleierungstaktik entwickelt hat. Das sind alles nur kleine Beamte, die Sie hier vor sich haben. Man muß sich nur Gutiérrez ansehen.«
»Diese Pressekonferenz ist also reine Augenwischerei.«
»Ja. Aber sie mußten sie abhalten, um aus den Schlagzeilen zu kommen. Und da sich hier gerade sowieso so viele Kryptologen und Spione herumtreiben, die ja wahre Meister darin sind, Informationen zurückzuhalten und zu verschleiern, hat man die Gelegenheit beim Schopf gepackt …«
David wollte gerade kontern, da merkte er, daß vorne auf dem Podium etwas Merkwürdiges vor sich ging. Gerade noch hatte der israelische Sprecher eindringlich versichert: »Wenn die arabische Welt darauf besteht, die Kontrolle über Jerusalem zu teilen, wird sie auch akzeptieren müssen, die Kontrolle über den Tempelberg zu teilen …«, als im Saal auf einmal ein dumpfes Brummen erklang. Der Israeli rückte ein Stück vom |271| Mikrophon ab, da er es für eine Rückkopplung hielt, und wollte mit seiner Rede fortfahren. Doch was dann zu hören war, hatte wenig mit dem Text zu tun, den er bis dahin verlesen hatte.
»Et em en an ki sa na bu apla usur na bu ku dur ri us ur sar ba
bi li …«
David sah Rachel alarmiert an.
»Haben Sie das gehört? Woran erinnert Sie das?«
»An das Gestammel des Papstes.«
Als wäre noch irgendein Zweifel möglich, ging das Gestammel sogleich in den erwarteten rhythmischen Singsang über.
»Ar ia ari ar isa ve na a mir ia i sa, ve na a mir ia a sar ia …«
Im Saal entstand ein heftiger Tumult. Über dem Podium entlud sich ein wahres Blitzlichtgewitter. Eine Gruppe Beamter bildete eilends eine Mauer, um den Israeli vor der heranstürmenden Flut von Fotografen und Reportern zu schützen, bevor ihn zwei Polizisten durch einen Notausgang in Sicherheit brachten.
Bealfeld war ebenfalls aufgesprungen und hatte sich nach David und Rachel umgesehen, wobei ihm der magere schwarzgekleidete Mann nicht entgangen war, der statt zum Podium zum Ausgang eilte.
»Haben Sie diesen Kerl gesehen?« fragte der Kommissar atemlos, nachdem er sich zu David und Rachel durchgedrängelt hatte, und zeigte auf den Platz, wo der spindeldürre Mann kurz zuvor noch gesessen hatte.
David blickte sich suchend um, konnte aber weder Samir noch seinen Begleiter irgendwo entdecken. Er rannte zum Ausgang, doch die beiden waren spurlos verschwunden.
Im selben Augenblick traten Rachel und Bealfeld zu ihm, und der Kommissar erklärte:
»Mir ist dieser Mann schon einmal aufgefallen. Er war am Fronleichnamstag auch auf der Plaza Mayor, auf der Ehrentribüne. Und genau wie jetzt hat er seinen Platz unauffällig verlassen, als das Gestammel losging.«
»Und wer ist das?« fragte Rachel.
|272| »Ich habe keine Ahnung.«
»Er saß bei Samir, einem sehr gerissenen Kryptologen«, erklärte David dem Kommissar, »und mein kleiner Finger sagt mir, daß die beiden in Minsperts Auftrag hier sind …«
Er verstummte, denn Gutiérrez, dem er nicht über den Weg traute, gesellte sich zu ihnen. Bealfeld wandte sich an den Inspektor.
»Wir brauchen die Aufnahme so bald wie möglich.«
»Keine Sorge«, antwortete Gutiérrez, »wenn ich den Lokalnachrichten das Interview gegeben habe, kümmere ich mich darum.«
David gab sich damit jedoch nicht zufrieden.
»Wir können uns nicht ein Band nach dem anderen anhören, während andere schon handeln. Inspektor, würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich Sie zu diesem Interview begleite?«
»Aber was wollen Sie im Fernsehen denn sagen?« fragte Gutiérrez verwundert.
»Seien Sie unbesorgt, ich werde den Mund halten. Ich möchte nur mit Ihnen zusammen auf dem Bildschirm erscheinen. Bestehen Sie bitte auch darauf, daß mein Name eingeblendet wird.«
»Ich werde sehen, was ich tun kann«, brummte Gutiérrez mißmutig und eilte davon.
Rachel konnte ihre Neugier nun nicht mehr länger bezähmen.
»Soll das ein Köder sein?«
»Schlaues Mädchen. Ich dachte mir, falls uns jemand etwas über Sara erzählen möchte, muß er danach nicht noch einmal auf den Anrufbeantworter der Polizei sprechen. Und vielleicht erweckt der Nachname Calderón mehr Vertrauen als ein Kerl wie Gutiérrez.«
»Ich nehme an, Sie wissen, wie gefährlich das sein kann. Lockvogel zu sein ist kein Spaß«, warnte Bealfeld.
»Ich fürchte, das sind wir sowieso schon,
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