Kryson 05 - Das Buch der Macht
Er war hinund hergerissen. Ihr Versprechen war mehr als verlockend. Er mochte Demira. Sie war eine gute Frau. Ohne Zweifel die beste, die er bekommen konnte. Und sie wollte ihn. Sie hatte sich schon vor mehr als zweihundert Sonnenwenden zu ihm hingezogen gefühlt. Und sie hatte ihn all die Zeit nicht vergessen.
Aber Sapius fühlte sich noch nicht so weit, den alten Familienverpflichtungen wieder nachzukommen, mit denen er einstgebrochen hatte. Er hatte damals seine Gründe, warum er sich gegen ein Leben bei den Tartyk und für die Einsamkeit seines magischen Daseins entschieden hatte. Aber jetzt war er der Yasek. Diese Ehre war ihm durch seine Taten zuteilgeworden. Oder war es doch bloß eine Bürde, die er sich aufgeladen hatte und die er womöglich gar nicht erfüllen konnte? Er war dem Lesvaraq verpflichtet und dachte für einen kurzen Moment an Elischa. Wie glücklich er mit ihr in seinem Traum einer veränderten Vergangenheit und Zukunft doch gewesen war. Aber das konnte nicht wirklich gewesen sein. Unmöglich!
»Zweifler«, ermahnte er sich in Gedanken, »hör endlich auf damit! Die Zeiten ändern sich. Nimm die Gelegenheiten, wie sie kommen, und stelle dich deiner Verantwortung. Ich bin der Yasek. Verdammt. Hoffentlich bringt mich der Drache auf andere Gedanken.«
Sapius war gespannt, wohin ihn der Drache bringen würde und was so wichtig war, dass er es ihm sofort zeigen wollte.
Haffak Gas Vadar erhob sich mit kräftigen Flügelschlägen hoch in die Lüfte, als ob er nie etwas anderes getan hätte. Die Zeit seiner Gefangenschaft war vergessen. Auf seinem Rücken saß Sapius und freute sich über das Gefühl der Unbeschwertheit und Freiheit, das ihm der Drache mit seinem Flug bescherte. Sie flogen schnell.
Schon bald erreichten sie die Küste am Ostmeer. Aber Haffak Gas Vadar drehte nicht ab, er flog geradewegs auf das Meer hinaus. Weiter und weiter, bis der Kontinent hinter ihnen aus ihrer Sicht verschwand. Sapius drehte seinen Kopf, um nach Ell zurückzusehen. Aber unter, hinter und vor ihm war nur Wasser.
Unruhig rutschte der Magier auf dem Rücken des Drachen hin und her. Ihm wurde unwohl bei dem Gedanken, kein Land mehr in Sicht zu haben, zumal es – je weiter sie auf das offene Meer hinausflogen – nur so von Moldawars unter ihnen wimmelte.Er fragte sich, was wohl wäre, wenn sich der Drache bei seinem ersten Flug nach der Gefangenschaft überschätzte und ihn die Kräfte verließen. Sie würden mitten ins Meer stürzen.
»Wohin fliegen wir?«, fragte Sapius ängstlich.
»Über das Meer nach Osten«, antwortete Haffak Gas Vadar, ohne ihm ihr Ziel zu verraten.
»Das sehe ich«, knurrte Sapius durch seine Zähne, »weit und breit gibt es kein Land. Nicht einmal eine Insel, auf der wir landen oder uns vor einem aufziehenden Sturm in Sicherheit bringen könnten. Das ist gefährlich. Du bist seit vielen Sonnenwenden nicht mehr geflogen.«
»Ich weiß«, sagte der Drache, »mach dir keine Sorgen. Ich kenne den Weg.«
»Mag sein«, erwiderte Sapius, »aber sparst du dir auch genügend Kräfte für unseren Rückweg auf ?«
»Wovor fürchtest du dich, Yasek?«, fragte der Drache, »du bist ein Magier und kannst aus eigener Kraft fliegen. Sollte ich vor Schwäche abstürzen, wirst du noch lange und weit fliegen können.«
Haffak Gas Vadar flog plötzlich einen weiten Bogen und drehte nach Süden ab. Das nahm Sapius wenigstens an. Der Magier hatte keine Vorstellung, woran sich der Drache orientierte. Für ihn sah das Wasser aus der Höhe fast überall gleich aus. Gleichgültig, auf welche Seite er sich auch wendete. Überall sah er nur das Meer und einen weiten Horizont. Zählte der Drache seine Flügelschläge oder die Zeit ihres Fluges, seit sie die Küste von Ell verlassen hatten? Orientierte er sich am Licht der Sonnen Krysons?
»Wo sind wir?«, wollte Sapius wissen.
»Sieh dich um, Yasek«, reizte der Drache ihn, »wir sind über dem Meer.«
»Ich finde das nicht lustig, Haffak«, sagte Sapius, »du hast den Kurs gewechselt. Das merke ich wohl.«
»Das stimmt«, gab Haffak Gas Vadar zu, »wir fliegen weiter nach Nordosten. Übe dich in Geduld und genieße den Flug. Du wirst dich bald wundern, wenn und wie sich Kryson vor deinen Augen verändert.«
Sapius hatte sich also in der Richtung getäuscht. Sie flogen nach Norden, nicht nach Süden. Es war eigenartig. Die Welt schien auf dem Kopf zu stehen. Er hätte nach dem Stand der Sonnen schwören können, dass sie sich auf dem Weg nach Süden
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