Kryson 05 - Das Buch der Macht
je wieder lebend verlassen und das Licht der Sonnen von Kryson noch einmal zu Gesicht bekommen würden.
Sturm
A n Deck der Aeras Tamar herrschte reges Treiben. Die Zeit der Übungen war vorbei und Kapitän Murhab forderte seine Mannschaft jeden Tag aufs Neue. Jeder Handgriff musste im Schlaf sitzen. Jedes Manöver wie von alleine ablaufen. Sie hatten enge und weite Wenden bis zur Erschöpfung geübt. Sie waren hart am Wind unter Voll-, Halb- und ohne Segel geflogen. Sie hatten sich bei einer Flaute treiben lassen. Sturzflüge, steile Aufstiege, Formationen, plötzliches Anhalten und rasches Beschleunigen. Murhab hatte nichts ausgelassen, was er für notwendig hielt, das Luftschiff besser kennenzulernen. Dabei war er bis an die Leistungsgrenzen der Aeras Tamar und ihrer Besatzung gegangen. Er war der Kapitän, der einer ganzen Flotte von Luftschiffen vorstand, und musste wissen, wie sich die Schiffe in kritischen Situationen verhielten und manövrieren ließen, wenn er das ihm anvertraute Leben der Männer und Frauen schützen wollte.
Murhab hasste Überraschungen. Aber er war zufrieden mit dem Luftschiff und dessen Besatzung, die sich als einsatzbereit und gelehrig erwies. Manchmal verhielt sich die Aeras Tamar etwas träge. Er wusste damit umzugehen und diesen Nachteil auszugleichen. Die Aeras Tamar hatte ihre Eigenheiten und Tücken wie jedes andere Schiff auch, doch ließ sie sich – wenn die Besatzung die wesentlichen Unterschiede kannte und bei Flugmanövern berücksichtigte – beinahe wie ein Segelschiff durch die Lüfte steuern.
Ausnahmslos jedes Besatzungsmitglied bekam unter Murhab eine Aufgabe. Selbst Drolatols Schützen, die mit der Steuerung des Luftschiffs nichts zu tun hatten, wurden zum Deckschrubben, Segelflicken, Latrinenputzen oder Kochen herangezogen. Es gab immer etwas zu tun.
»Wer nicht arbeitet, kommt auf dumme Gedanken«, pflegte Murhab zu sagen, wenn sich jemand beschwerte, »das kann ich auf meinem Schiff nicht gebrauchen. Wir befinden uns im Krieg mit den Rachuren und müssen jede Sardas wachsam sein.«
Der Kapitän führte ein hartes Kommando. Das war notwendig, denn sie waren lange in den Lüften unterwegs, um die Grenzen der Klanlande zu überwachen und zu schützen. Sie rechneten jederzeit damit, dem Feind zu begegnen. Selten landete die Flotte, um ihre Vorräte aufzufrischen. Die Besatzung musste auf engstem Raum miteinander auskommen. Unterschiedlichste Charaktere mit ganz verschiedenen Eigenschaften und Lebenseinstellungen prallten aufeinander. Natürlich gingen sie alle einander zuweilen gewaltig auf die Nerven. Und doch hatten sie alle ein Ziel. Die Rachuren mussten aufgehalten werden. Der Gedanke an Verwüstung, Sklaverei, Tod und Verderben durch einen erbarmungslosen Gegner schweißte die Besatzung zusammen. Sie kämpften für ihre Familien und das Überleben ihres Volkes.
Streit duldete Murhab auf seinen Schiffen nicht. Weder auf dem Segelschiff, das er für Jafdabh durch das Ostmeer gesteuert hatte, noch auf diesem Luftschiff.
Das Wort des Kapitäns war Gesetz an Bord der Aeras Tamar. Er alleine entschied, wohin sie segelten und wer sich wann schlafen legen durfte. Niemand stellte seine Entscheidungen infrage oder begehrte gegen das Kommando des Kapitäns auf, wenn er klug war.
Auch Drolatol, Fürst und General, fügte sich an Bord bedingungslos den Befehlen des Kapitäns. Der Fürst wusste, dass alles, was Murhab tat, einzig darauf ausgerichtet war, Leben zu erhalten. Dafür mussten auch harte Entscheidungen getroffen werden.
Sollte sich jemand den Befehlen des Kapitäns widersetzenoder gegen die Regeln verstoßen, was äußerst selten vorkam, setzte es harte Strafen. Während Murhab Querulanten und Regelbrecher früher an einem Seil kielholen hatte lassen, hängte er sie heute für ihre Vergehen über Bord der Aeras Tamar.
»Zeit zum Nachdenken haben sie. Die frische Luft macht den Kopf frei«, verkündete Murhab, wenn sich jemand nicht an die Regeln gehalten hatte.
Dort baumelten sie dann – an den Füßen angebunden – kopfüber unterhalb des Schiffsrumpfes und sahen sich die unter ihnen vorbeiziehenden Landschaften von weit oben an, bis sie schließlich – alleine der Kapitän bestimmte, welche Dauer angemessen war – wieder an Bord zurückgeholt wurden.
Murhab konnte es nicht ausstehen, wenn sich Mitglieder der Besatzung vor der Arbeit drückten oder faulenzend an Deck herumhingen. Wer nicht zu einer Schicht eingeteilt war, durfte essen, schlafen oder
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