Kryson 06 - Tag und Nacht
ich das Wagnis eingehe und Alvara mit auf mein Boot nehme.«
»Das ist umsichtig von Euch. Ich hatte nichts anderes erwartet«, stimmte Tarratar zu. »Holt sie Euch gleich in meinen Gemächern ab.«
»Und noch eines solltet Ihr wissen«, Baylhard hob bedrohlich eine Augenbraue, »solltet Ihr mich belogen haben, ziehe ich Euch die Haut eigenhändig ab und verfüttere Euch an die Moldawars. Ihr wärt nicht der Erste, dem es so erginge.«
»Ich weiß«, lächelte Tarratar verlegen, »ich kenne die rauen Sitten der Eiskrieger und Moldawarjäger. Ich lüge nicht. Holt und prüft die Artefakte. Ihr werdet sehen und staunen.«
Tarratar war zufrieden. Er hatte erreicht, was er sich erhofft hatte, und könnte sich nun mit ruhigerem Gewissen seinen weiteren Aufgaben und vor allem den Prüfungen der Streiter widmen. Es war nicht gut, Grenwin in seiner Ungeduld und seinem Hunger lange warten zu lassen. Der vierte Wächter war eigenwillig und neigte dazu, Tarratars Anweisungen zu missachten.
Baylhard hatte nur wenig später – mit den glänzenden Augen eines kleinen Jungen, der ein überraschendes Geschenk erhält – die Artefakte in Empfang genommen.
*
Die Warnung des Dorfes vor der sich nähernden Gefahr durch die Entfesselten war missglückt. Die Einwohner hatten den großen Drachen gesehen und waren sofort in Panik geraten. Die meisten der Klan sahen in ihm eine gefährliche, feuerspuckende und fleischfressende Kreatur. Erinnerungen an die Drachenchimären der Rachuren wurden wach. Sämtliche Beschwichtigungsversuche scheiterten. Der Magier wurde schlicht nicht gehört.
»Ich habe es wenigstens versucht«
, dachte Sapius und zuckte mit den Schultern,
»mehr kann ich im Augenblick nicht für sie tun. Bleiben sie hier im Dorf, sind sie verloren. Schicksal!«
»Bring uns an einen sicheren Ort«
, sagte er zum Drachen,
»wir dürfen nicht gestört werden, während ich den Zugang öffne und in die heiligen Hallen der Saijkalrae eindringe.«
Der Drache erhob sich mit Sapius auf dem Rücken wieder in die Lüfte und suchte die Umgebung nach einem geeigneten Landeplatz ab. Dabei stellten sie fest, dass die Entfesselten dem Dorf schon deutlich näher gekommen waren.
Haffak Gas Vadar landete auf einer Bergkuppe, deren Hänge und Felsen, die nur bis zur halben Höhe dicht bewaldet waren, er zu allen Seiten gut einsehen konnte, sollte sich jemand nähern.
Sapius rutschte vom Rücken des Drachen und legte sich auf den felsigen Boden, der mit Moosen bewachsen und noch warm vom Licht der Sonnen war. Den Stab des Farghlafat legte er griffbereit neben sich ab.
»Es wird nicht lange dauern«
, versprach Sapius,
»die Zeit steht in den heiligen Hallen beinahe still. Sollte sich mein Körper plötzlich verändern, zucken oder sonst irgendwie auffällig verhalten, versuch bitte sofort, mich aufzuwecken und zurückzuholen. Jede Veränderung ist ein schlechtes Zeichen.«
»Pass auf dich auf, Yasek«
, sagte der Drache,
»auch wenn ich dir im Augenblick nicht vertrauen kann und wir uns gestritten haben, sollst du wissen, dass du noch immer mein Freund bist und ich mich um dich sorge. Die magischen Brüder sind mächtig und gefährlich.«
»Ich danke dir, Haffak«
, meinte Sapius,
»ich kenne die Saijkalrae gut und werde vorsichtig sein.«
Sapius schloss die Augen, konzentrierte sich und fand seinen Zugang schneller, als er angenommen hatte. Ein magischer Wirbel zog ihn mit sich fort, bis er sich in den heiligen Hallen befand, die er so lange gemieden hatte. Er erinnerte sich nur ungern daran, dass er bei seinem letzten Besuch in den heiligen Hallen zu den Gescheiterten geworfen worden und nur durch seinen Tod wieder entkommen war.
Der Magier kannte den Weg vom Eingang entlang der Säulen und vorbei an den flüsternden Schatten bis zur Haupthalle hinter der mächtigen Eisentür, in der sich die Saijkalrae für gewöhnlich aufhielten, ihre Diener zu sich riefen und die Versammlungen mit den Saijkalsan abhielten.
Dort befand sich auch das magische Auge, mit dem die Brüder jederzeit das Geschehen auf Ell verfolgen konnten. Sie mochten also durchaus bereits wissen, dass Sapius zu ihnen unterwegs war und sich Zugang zu ihrem Heim verschafft hatte. Wie würden sie ihn empfangen?
Im Gegensatz zu seinem letzten Aufenthalt waren der dunkle Hirte und der weiße Schäfer wach. Sapius war ihnen bislang immer nur schlafend begegnet und hatte bei Bedarf von ihrer Magie gekostet und einen Preis dafür entrichtet, den ihm Haisan und Hofna
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