Kryson 06 - Tag und Nacht
er sah wie ich Euch gerettet habe.«
»Er ließ mich im Stich?« Nachika wollte nicht glauben, was der Magier berichtete.
»Kaldhrab hatte Angst, das müsst Ihr verstehen.« Sapius versuchte, sich vorsichtig auszudrücken. »Er sah eine Kreatur, die nicht für seine Augen gedacht war.«
»Ich habe auch schreckliche Kreaturen gesehen. Sie sahen aus wie Drachen und ich hatte fürchterliche Angst. Er war feige!«, in Nachikas Augen flammte Zorn auf.
»Nein. Er wollte Euch retten, vermochte es jedoch nicht. Ihm liegt sehr viel an Euch. Er liebt Euch. Sucht ihn und redet mit ihm. Er kann noch nicht weit gekommen sein. Ich rate Euch, die Stadt gemeinsam so schnell wie möglich zu verlassen. Die Praister könnten Euch noch einmal fassen. Ich war nur zufällig zugegen und könnte Euch kein zweites Mal helfen.«
»Ich will Kaldhrab nicht mehr sehen. Er hätte mich den Praistern und diesen scheußlichen Kreaturen überlassen. Ihr könnt sagen, was Ihr wollt, Kaldhrab ist für mich gestorben.«
»Wie Ihr meint«, sagte Sapius, »ich muss jetzt gehen. Meine Pflichten rufen mich. Findet Ihr Euch alleine zurecht?«
»Eine nackte, gerade missbrauchte Frau in einer dunklen Seitengasse? Verfolgt von Praistern und hungrigen Kreaturen? Verlassen von ihrem Geliebten? Macht Ihr Witze?«, empörte sich Nachika. »Ich brauche Kleidung, Proviant, Anunzen und sicheres Geleit.«
»Dann sollten wir nachsehen, was die Praister in ihren Taschen haben«, schlug Sapius vor.
»Ihr wollt die Toten berauben?« Nachika klang entsetzt.
»Nun ja …«, Sapius begann bereits, seine Einmischung zu bereuen, »… mehr kann ich Euch nicht bieten.«
»Ich fasse keinen Toten an«, zierte sich Nachika.
Sapius seufzte und begann, die Taschen der Toten zu untersuchen. Er fand zwei Messer, einen kleinen Laib Brot, Trockenfleisch, ein Stück Käse, einen halb gefüllten Trinkbeutel und dreiundzwanzig Anunzen. Die übrigen Sachen mochten zwar für die Praister von Nutzen sein, nicht jedoch für ihn oder Nachika.
Dem kleinsten Praister zog er die Robe aus. Sie war weniger zerfetzt und blutbeschmiert als die Roben der anderen Kadaver. Außerdem würde sie Nachika noch am besten passen. Der Magier überreichte Nachika die Sachen, die ihn die ganze Zeit über misstrauisch und mit Abscheu beobachtet hatte.
»Ich kann das nicht anziehen!«, sagte Nachika ablehnend.
»Warum nicht?«, wollte Sapius wissen.
»Es ist die Robe eines Praisters. Sie ist zu groß und weist Blutflecke auf. Jeder wird wissen, dass sie einem Praister gehörte und mich verdächtigen, ich hätte sie gestohlen oder den Praister getötet. Außerdem steht sie mir überhaupt nicht. Ich mag die Farbe nicht. Besorgt mir etwas anderes.«
»Wisst Ihr was?«, ärgerte sich Sapius: »Lauft meinetwegen nackt durch Tut-El-Baya oder besorgt Euch selbst etwas zum Anziehen. Ich werde Euch nicht mehr helfen.«
»Feigling!«, verzog Nachika ihren Mund zu einem Schmollen. »Ihr seid keinen Deut besser als Kaldhrab.«
Tränen liefen über die Wangen der jungen Frau. Nachika sah so traurig und bemitleidenswert aus, dass es Sapius beinahe das Herz brach. Er dachte einen Augenblick nach, was er mit ihr anfangen sollte. Er konnte sie nicht einfach in der Gasse stehen lassen. Nun musste er sich ihrer annehmen und auch dafür sorgen, dass sie sicher in Tut-El-Baya leben oder die Stadt wenigstens unversehrt verlassen konnte.
»Hört auf zu weinen«, bat Sapius, »zieht die Robe an, wir sollten von hier wegkommen und uns verstecken. Ihr könnt bei mir bleiben, bis wir eine Lösung gefunden haben. Ich bringe Euch zu einem Mann, bei dem Ihr vorerst sicher seid. Wenn er erfährt, dass Ihr ein Opfer der Praister seid, wird er Euch in Schutz nehmen.«
»Oh, vielen Dank. Ihr seid wirklich ein guter Mann«, fiel ihm Nachika um den Hals.
Sapius machte sich nicht die Mühe, Nachika in seine Pläne, die Suche nach dem Buch der Macht und die ständigen Veränderungen durch Jafdabhs Visionen einzuweihen. Das war kompliziert, schwer zu erklären und er fragte sich, ob sie sein Handeln verstehen würde. Es genügte, wenn sie ihm vertraute und sein Vorhaben nicht noch mehr behinderte. Ein Versteck war bald gefunden und sie warteten gemeinsam bis zur Abenddämmerung.
*
Der Krolak erwachte aus einem unsanften Schlaf. Benommen erinnerte er sich daran, dass er gestürzt war. Die Holzfäller und ihre Wachen hatten ihn erschossen und ein fürchterliches Gemetzel unter den Tieren des Rudels angerichtet.
Er lag inmitten des
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