Kuckuckskind
früheren Heim herumstöbere. Genau das ist mir aber gar nicht recht. Ich habe keine Lust, in ihrem Beisein auf unbekannte Zahnbürsten und Slips zu stoßen.
»Ich hab mir überlegt«, fährt sie fort, »dass man Schreibtisch, Vitrine und Sekretär auf keinen Fall in meinem Auto befördern kann, hinzu kommen ja noch Wäsche, Decken, Regale, Küchengeräte und so weiter. Bei mir nebenan wohnen zwei junge Männer, die einen Hausmeisterservice betreiben, die hab ich gleich angeheuert. Sie besitzen einen Lieferwagen und sind bereit, für wenig Geld eine Fuhre zu übernehmen!«
Mutters Tatendrang war mir schon immer unheimlich. Doch immerhin hat sie im Gegensatz zu mir ihr Leben im Griff. Über die Transportfrage habe ich mir noch gar keine Gedanken gemacht, da hat sie das Problem bereits gelöst. Mit einem leisen Seufzer stimme ich ihrem Vorhaben zu.
Manuel verabschiedet sich am letzten Schultag mit Handschlag und übergibt mir einen Brief seines Vaters. Auf dem Umschlag lese ich zum ersten Mal seinen vollen Namen. Er wünsche mir viel Freude [49] beim Einzug, schreibt Dr. Patrick Bernat, und ich solle bei großer Hitze den Garten bewässern, falls es mir nichts ausmache. Mit dem Mietvertrag könnten wir uns noch Zeit lassen.
»Wohin geht denn eure Reise?«, frage ich meinen Schüler.
Zuerst zur Mutter nach Kopenhagen, sagt er, um seinen 15. Geburtstag zu feiern. Dann wolle sein Vater ein Wohnmobil mieten und ohne festes Ziel Richtung Norden fahren. Manuel schwärmt von Blaubeeren, einsamen Seen und Mitternachtssonne, und ich staune, wie gut er erzählen kann. Warum zeigt sich das nicht auch in seinen Aufsätzen?
»Wieso lebt deine Mutter eigentlich in Dänemark?«, will ich wissen und ärgere mich sofort über meine indiskrete Frage.
»Einer in der Familie muss schließlich die Brötchen verdienen«, sagt er, winkt mir zu und trollt sich zu seinem Freund Julian. Hat er eigentlich verraten, ob seine Mutter an der Nordland-Expedition teilnimmt?
Am ersten Ferientag leuchtet für mich die ganze Welt. Ich habe ausgeschlafen und mir ein gesundes Frühstück zubereitet, sogar den Tisch gedeckt. Vor mir liegen sechs Schlüssel, je zwei für unser Häuschen, für das Rattenloch und für die neue Wohnung. [50] Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, denke ich. Zwar bin ich nicht abergläubisch, aber die Qualität der Schlüssel erscheint mir wie ein Orakel: die vom Häuschen sind leicht verbogen, der jetzige ist rostig, und die neuen haben ein rotes und ein grünes Käppchen; grün ist die Hoffnung, rot ist die Liebe.
Auf der Sparkasse gibt man mir zu verstehen, dass meine ererbten Aktien im Moment nur mit Verlust zu veräußern sind, aber wenn ich dringend Geld brauche… Nun, ich nehme alles in Kauf, um wieder in die Gänge zu kommen. Meine Mutter hat mir einen Zuschuss versprochen, und mein Kontostand sieht erstaunlich positiv aus, weil ich im vergangenen Jahr nur für die lumpigen Sudokus etwas ausgegeben habe. Ich kann also im Möbelhaus zuschlagen und mir außerdem ein paar schicke Kleidungsstücke kaufen, vielleicht ist sogar ein gebrauchtes Auto drin. Wenn alles erst einmal fertig ist, könnte ich meine Kollegen zu einer Housewarming Party einladen, dann sollen sie über mein neues Ambiente Bauklötze staunen. Keine Frage, dass sich dann auch das große Glück einstellen wird. Wenn meine Mutter Gedanken lesen könnte, wäre sie sicherlich sehr zufrieden.
Am Mittwoch kommt sie angebraust, in ihrem Schlepptau ein Lieferwagen mit der Hilfstruppe, [51] zwei langhaarigen Männern. Sie sind eher schmächtig, aber freundlich. Es ist noch sehr früh, sie wollen erst einmal eine Tasse Kaffee trinken. Mit flinkem Blick mustert Mutter meine Küche, und ich sehe ihr an, wie gern sie hier für Sauberkeit sorgen würde. Aber diesen Drang soll sie sich für meine neue Wohnung aufsparen. Nach kurzer Besprechung fahren wir in die Postgasse.
Mit klopfendem Herzen öffne ich das Hoftor meines ehemaligen Heims. Der Garten sieht so traurig aus, wie ich befürchtet habe. Zwar wachsen die Brennnesseln noch nicht in den Himmel, doch die Rosen sind zum Teil eingegangen, die kleinen Buchshecken fast verdorrt. Ich möchte auf der Stelle gießen, so wie meine Mutter wohl gern bei mir geputzt hätte.
Zielstrebig zeigt sie den Männern die Möbelstücke, und sie sind erst einmal beschäftigt. Ich stehe tatenlos am Fenster und bin traurig. Ein Häuschen mit Garten, eine glückliche Ehe und vor allem zwei Kinder, das war mein Lebensplan
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