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Kuckuckskind

Kuckuckskind

Titel: Kuckuckskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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ganze Zeit so irritiert: Es ist ein leichter Geruch nach Maiglöckchen.
    Ich erinnere mich genau, wie Birgit vor etwa drei Jahren in Frankreich Parfum kaufte. Un bouquet [60] floral romantique stand auf dem Flakon, und sie fragte die Drogistin, ob auch der Duft ihrer Lieblingsblume – le muguet – darin enthalten sei. Die Verkäuferin war eine skandinavische Studentin, die man eigens zur Bedienung der Touristen angestellt hatte. Sie antwortete auf Englisch: » Sure, Madam, it’s Lily of the Valley!« Steffen amüsierte sich und spottete, dass man Birgits angeblich perfektes Französisch nicht verstand.
    Reichlich spät komme ich auf die Idee, die alten Nachrichten auf dem Anrufbeantworter abzuspielen, der allerdings nur wenige Botschaften enthält. Gernots Tante bedankt sich für einen Geburtstagsgruß; einer seiner Kollegen, den ich flüchtig kenne, will eine Auskunft; Frau Meising kündigt eine baldige Fensterputzaktion an. Doch bei der vierten Ansage läuft es mir kalt den Rücken hinunter, denn diese Stimme ist mir vertraut.
    Hallo, Schatz! Was war los gestern? Ich habe zehn Minuten auf dich gewartet, dann wurde es mir zu dumm. Übrigens müssen wir vorsichtiger werden. Ich glaube, Steffen hat Verdacht geschöpft, er macht neuerdings leicht anzügliche Bemerkungen. Also bis morgen am Parkplatz! Ich freu mich!
    [61] Zum Glück habe ich keinen heißen Tee zur Hand. Sonst würde ich ihn ins Telefon oder in den kleinen schwarzen Apparat kippen. Vergeblich sagt mir die Vernunft, dass wir geschiedene Leute sind und mich Gernots Liebesleben nichts mehr angeht. Von mir aus kann Birgit ihren Steffen von früh bis spät betrügen – aber doch nicht in meinem Haus mit meinem Mann! Mich packt eine unbändige Wut auf beide und darüber hinaus auf mich selbst. Es ist nicht mehr mein Haus, es ist nicht mehr mein Mann, wann werde ich das endlich begreifen.
    Ich stelle mir vor, wie Birgit und Gernot in Draguignan auf der Place du Marché sitzen; nach dem Mittagessen trinkt sie einen petit noir , er einen café crème . Birgit im hellen Miederkleid, ihr Schatz in Flip-Flops und Bermudas. Die Sonne brennt schon heiß, gleich werden sie eine ausgiebige Siesta halten. Durch die Jalousien fällt gedämpftes Licht, passend für die Lust am Nachmittag; nackte Leiber verwandeln sich durch hell-dunkle Streifen in wilde Zebras. Ob sie die kleine Ferienwohnung gemietet haben, wo wir vor vielen Jahren so glücklich waren?
    Mit Birgit, diesem verlogenen Weib, habe ich fast jeden Tag im Lehrerzimmer Kaffee getrunken und über Gott und die Welt geredet. In mir brodeln Neid, [62] Wut und Rachsucht. »Euch werde ich die Suppe noch versalzen, darauf könnt ihr Gift nehmen!«, flüstere ich. Eure brave Anja ist in Wahrheit ein Vulkan, der glühende Lava speit.
    Diesmal sollte die Rache subtiler ausfallen, vielleicht ließe sie sich sogar delegieren. Unverzüglich rufe ich bei Steffen an.
    Er reagiert verwundert: »Anja? Du? Eigentlich habe ich deinen Mann – entschuldige, Exmann – erwartet«, sagt er freundlich. »Was kann ich für dich tun?«
    Ich erkläre ihm, dass Gernot bereits in die Ferien gefahren ist. Aber ich brauche die Hilfe eines starken Mannes, um einen Fernsehapparat ins Auto zu tragen. Ob er nicht kurz in die Postgasse kommen könne?
    Eigentlich hatte ich gar nicht vor, den Fernseher abzuschleppen, denn ich besitze längst einen neuen. Im Augenblick fällt mir aber kein anderer schwerer Gegenstand ein.
    Wie immer zeigt sich Steffen hilfsbereit und verspricht, in einer halben Stunde an Ort und Stelle zu sein. »Gratuliere, dass du vernünftig wirst«, sagt er, als er mir an der Haustür die Hand gibt, »und endlich deine Möbel abholst! Habt ihr euch friedlich einigen können?«
    [63] »Das war nicht das Problem, bisher hatte ich nur keinen Platz. Nun beziehe ich eine größere Wohnung, die ich dir gleich zeigen werde.«
    Steffen nabelt den Fernseher ab und trägt ihn zu Mutters Auto, während ich die Heckklappe aufschließe und eine alte Wolldecke unterlege.
    Schnaufend stapft er wieder ins Haus. Seine rasierte Glatze zeigt nachwachsende Stoppeln, auf der Stirn perlen ein paar Schweißtropfen. »Puh, ist das heiß. Hast du zufällig ein Bier, ich meine – hat Gernot ein Bier im Kühlschrank?«
    Er fläzt sich in einen Sessel und trinkt aus der Flasche. »Komisch, dass er mir gar nichts von seinen Plänen verraten hat. Hin und wieder spielen wir Skat zusammen; heute bin ich Strohwitwer, und es hätte mir gut gepasst.«
    »Ist

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