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Kuckuckskind

Kuckuckskind

Titel: Kuckuckskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Kripo bereits herausgefunden. Hast du schon einen Anwalt?«, frage ich.
    Steffen versucht, sich ein Taschentuch vom Nachttisch zu angeln, es misslingt.
    »Du bist an allem schuld, du falsche Schlange!« Er schneuzt sich in den Bettbezug. »Geh mir aus den Augen, bevor ich dir den Hals umdrehe! Ich will dich nie wieder sehen.« Zornig möchte er sich zur Wand drehen, was aber durch die Venenkanüle verhindert wird.
    Ich reiße den Strauß aus der Vase, verschütte dabei das halbe Blumenwasser und beeile mich wegzukommen.
    Bis zum Parkplatz sind es fast fünf Minuten, in denen ich möglichst klar zu denken versuche. [268] Steffens letzte Worte gehen mir nicht aus dem Sinn: Sie sind eine eindeutige Anklage. Offenbar funktioniert seine Erinnerung in mancher Hinsicht durchaus, und er weiß sehr wohl, dass ich ihm den verhängnisvollen Gentest empfohlen habe.
    Wo ich nun schon in der Nähe bin und einen Blumenstrauß zur Hand habe, will ich noch rasch meine Mutter besuchen. Lange war ich nicht mehr in meiner früheren Heimat – Dürkheim an der Weinstraße. Das fast mediterrane Klima zwischen Pfälzerwald und Rheinebene bekommt mir eigentlich besser als die sommerliche Schwüle der Bergstraße. Für die meisten meiner Kollegen ist das Idiom der Winzer und Bauern aus Derggem an der Woischdros weder verständlich noch melodisch, und doch bin ich gerührt, wenn mir wieder ein paar Worte zu Ohren kommen. Ich kaufe direkt an der Straße eine Dud mit Pärsching , eine Tüte mit Pfirsichen, die hier so köstlich reifen. Es klingt für mich wie Nektar und Ambrosia.
    Etwas wehmütig komme ich am Elternhaus an. Der Vater fehlt mir sehr, der kläffende Dackel lebt nicht mehr, der krumme Feigenbaum im Vorgarten wurde abgehackt und durch eine langweilige Konifere ersetzt. Meine Mutter hat Besuch. Bestimmt der Hausfreund, geht mir durch den Kopf, aber dieser [269] Mann ist bloß ein Nachbar, der ihr gelegentlich im Garten hilft. Gerade bemühen sie sich, eine Spitzmaus aus einem Kellerschacht zu befreien, was nach fünf Versuchen auch gelingt. Erst nach einem zufriedenen Alla Hopp verzieht sich der Rentner, und ich bekomme endlich ein Glas Silvaner und eine Brezel.
    Meine Mutter trägt einen engen rosa Pullover und schwarze Röhrenhosen, ihre Fingernägel sind trotz täglicher Gartenarbeit frisch lackiert. »Du kanntest meinen neuen Nachbarn noch nicht?«, fragt sie. »Ein sehr angenehmer Mann. Leider ist seine Tochter etwas aus der Art geschlagen, eine fromme Helene, möchte ich mal sagen. Aber als Krankenschwester ist sie vielleicht genau am richtigen Platz.«
    Gebannt hört sie zu, was ich über den Besuch bei Steffen zu berichten habe.
    »Mein liebes Kind«, sagt sie, »dein Besuch bei einem Mörder war völlig überflüssig und nicht ungefährlich. So wie ich den Fall beurteile, läuft es auf einen Indizienprozess hinaus.«
    »Wieso?«, frage ich die Spezialistin, die sich fast jeden Abend einen Krimi reinzieht.
    »Erstens hat Steffen seinen Gedächtnisverlust klug eingefädelt. Er kann nichts zur Wahrheitsfindung beitragen, weil er sich angeblich nicht erinnert. Zweitens hat die Sonderkommission bisher noch keine Leiche gefunden. Es könnte also schwierig [270] werden, ihm etwas nachzuweisen, aber es ist anhand von Belastungsmaterial und Zeugenaussagen vielleicht doch möglich…«
    »Miss Marple, an Ihnen ist mindestens eine Kriminalhauptkommissarin verlorengegangen«, sage ich. »Aber die Sache hat auch ein Gutes: Wir haben jetzt ein Baby im Haus. Patrick ist von dem Kleinen so angetan, dass er vielleicht selbst noch mal Vater werden will.«
    »Papperlapapp – vielleicht und irgendwann«, sagt meine Mutter, »das ist in deinem Alter nicht die richtige Perspektive. Sofort anfangen! Wer kann schon wissen, ob es überhaupt noch klappt!«
    »Soll ich Patrick etwa vergewaltigen?«, frage ich und stehe auf.
    Zu Hause empfängt mich Heiterkeit. Weder Patrick noch Manuel fragt, warum ich so spät zurückkomme.
    »Anja, was sagst du dazu, das ist neu!«, ruft Manuel begeistert. Er hat das nackte Baby auf eine Wolldecke gelegt und lässt einen Gummifrosch auf seinem runden Bäuchlein hopsen und quietschen.
    Victor gluckst und lacht so herzlich und ansteckend, wie er das noch nie getan hat, und das Spiel soll endlos wiederholt werden. Angesichts dieser reinen Lebensfreude vergesse ich alle Sorgen.
    [271] »Und unser Schneck kann noch etwas«, sagt Manuel stolz. »Er dreht sich vom Rücken auf die Seite.«
    »Das ist doch kalter Kaffee,

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