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Kuckuckskind

Kuckuckskind

Titel: Kuckuckskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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versammelten sich einige Frauen, Schüler und auch bloß Neugierige zum Gebet. Wegen meiner starken Kopfschmerzen konnte ich mich nicht anschließen, aber Manuel war in der Kirche und hat uns davon erzählt. Der Gecko samt Frau sei erschienen, ebenso Anselm Schuster und ein paar andere Lehrer.
    »Sie hatten ihr Foto aufgebahrt, und jeder [264] steckte ein Lichtlein an«, sagt Manuel. Krampfhaft bemüht, die eigene Betroffenheit durch lockere Sprüche zu kaschieren, fährt er fort: »Und ein paar Klageweiber stimmten heiseres Geheul an.«
    »Da lässt man seine Kinder extra nicht taufen, und schon rennen sie zu den Betschwestern«, brummt Patrick.
    In der Zeitung wird die Bevölkerung erneut zur Mithilfe aufgefordert. Allerdings wird jetzt nicht nur nach Birgits Verbleib geforscht, sondern auch zu klären versucht, ob und wo Steffen in der Zeit nach dem 4. Juni gesehen wurde, im eigenen oder im Wagen seiner Frau.
    »Weißt du überhaupt, wo dieses Krankenhaus liegt?«, fragt mich der besorgte Patrick.
    Ich bin in der Pfalz aufgewachsen, Ludwigshafen gehört zu meinem Jagdrevier.
    »Willst du vielleicht mitkommen?«, frage ich ihn.
    Er schüttelt den Kopf und will lieber mit seinem Bärchen spazieren gehen. Eine Babyschale, um Victor vorschriftsmäßig zu transportieren, besitzen wir ohnehin nicht.
    Aus vielen Fernsehfilmen habe ich gelernt, dass sich ein Polizeibeamter vor der Tür des Krankenzimmers postieren muss, wenn Fluchtgefahr besteht oder der Patient bedroht wird. Bei meiner Visite [265] kann ich keinen Gorilla ausmachen, aber die Stationsschwester fängt mich ab.
    »Die zwei Polizisten sind gerade abgeschwirrt, hier geht es zuweilen zu wie in einem Taubenschlag. Sie sind aber die erste private Besucherin«, sagt sie. »Herr Tucher wird sich freuen. Aber Sie dürfen ihn weder aufregen noch lange bleiben.«
    Ich verspreche es, sie klopft an, ich trete ein. An Steffens Bett sitzt eine sehr junge Krankenschwester und betet.
    »Haben Sie nichts zu tun?«, fragt ihre Vorgesetzte scharf, und die Pflegerin huscht hinaus.
    Auf einen Blick wird mir klar, warum Steffen nicht bewacht werden muss, denn Fluchtgefahr besteht weiß Gott keine. Anscheinend müssen gleich mehrere schwere Verletzungen behandelt werden, eine Kopfbandage, Gipsverbände, Schläuche und ein Urinbeutel sind nicht zu übersehen. Der früher so schmucke Steffen im ausgeblichenen Klinikhemd gleicht einem traurigen Gespenst.
    Ich begrüße ihn und halte ihm meinen Blumenstrauß unter die Nase; die Schwester kontrolliert die Tropfgeschwindigkeit einer Infusion und geht eine Vase suchen.
    »Was machst du nur für Sachen, Steffen«, sage ich.
    Er starrt mich dümmlich an. »Die Anja«, sagt er schließlich.
    [266] Ob er total verblödet ist? Ich versuche es noch einmal. »Hast du Schmerzen? Dröhnt der Kopf?«
    »Alles mies.«
    »Das tut mir leid. Wie konnte es bloß zu einem so schweren Unfall kommen?«, beginne ich in möglichst harmlosem Tonfall.
    »Ist das schon wieder ein Verhör? Bist du im Auftrag der Bullen hier? Soll ich noch mehr unterschreiben? Willst du mir etwa auch den Mund mit Wattestäbchen ausputzen?«, schnauzt er mich an.
    Die Polizei wisse überhaupt nichts von meinem Besuch, sage ich, und wir schweigen uns an. Die Atmosphäre ist feindselig. Zum Glück bringt die Pflegerin eine kitschige Vase, und ich bin kurzfristig beschäftigt. Mein Strauß aus Margeriten, Bartnelken und Rittersporn ist zwar wunderschön, aber Perlen vor die Säue geworfen, da er ihn keines Blickes würdigt.
    Kaum hat die Schwester uns wieder verlassen, knurrt er mich an: »Also, raus damit! Was willst du von mir?«
    Anscheinend ist ein Rest seiner Denkfähigkeit erhalten geblieben. Ich frage nach geplanten Rehamaßnahmen, dem Essen und den Ärzten, plaudere auch ein wenig über belanglose Dinge.
    Er hört kaum zu, bis er plötzlich in ein weinerliches Lamento ausbricht: »Sie haben mir einen [267] dubiosen Wisch vorgelegt, wonach Victor nicht mein Sohn sein soll, und behaupten, dass ich mit meinem Wagen absichtlich gegen die Leitplanke gedonnert bin. Außerdem heißt es, sie hätten in unserer blitzblanken Küche unter dem Herd und der Spülmaschine Blut gefunden. Ich kann das alles nicht glauben. Birgit ist spurlos verschwunden, die denken bestimmt, ich hätte sie umgebracht.«
    Ich lüge jetzt ein wenig, denn bisher weiß zum Glück niemand, dass auch ich Vaterschaftstests machen lasse. »Das Kind ist seltsamerweise weder von dir noch von Gernot, das hat die

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