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Kuckuckskind

Kuckuckskind

Titel: Kuckuckskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Kindsvater«, meint Françoise. »Ich habe ihr trotzdem geraten, das Baby zu behalten. Erstens bin ich eine gläubige Katholikin, zweitens war es wahrscheinlich Birgits letzte Chance, drittens sind Kinder das größte Glück unseres Lebens. Wie trostlos, wenn ich meine Lilou nicht hätte!«
    [256] »Birgits unbekannter Liebhaber müsste ein brünetter Europäer gewesen sein, aber mehr lässt sich nach dem äußeren Erscheinungsbild des Kindes nicht sagen. In ein Babygesicht kann man viel hineininterpretieren, Steffen glaubte sogar, Victor sehe ihm sehr ähnlich…«
    »Sie hat von hier aus ihren Steffen ein paarmal angerufen und war besonders nett zu ihm, ich habe sogar mitgespielt. In Wirklichkeit war sie verzweifelt. Mit diesem Ehemann hat sie bestimmt nicht das große Los gezogen.«
    »Warum hat sie sich nicht schon längst scheiden lassen?«
    »Birgit war der Meinung, sie könnte keine Kinder bekommen. Deswegen hatte sie ihrem Mann gegenüber stets Schuldgefühle. Er selbst glaubte angeblich fest an die gegenseitige große Liebe.«
    »Hat sie dir denn überhaupt nichts über den möglichen Erzeuger gesagt?«
    »Lass mich mal nachdenken. Ja, einen Hinweis hat sie mir schon gegeben. Wenn es so sei, wie sie befürchte, dann könne sie den Betreffenden unter keinen Umständen mit seiner Vaterschaft konfrontieren. Woraus man folgern kann, dass er verheiratet ist.«
    Sekundenlang überlege ich, ob es am Ende doch ein Kollege ist, da meldet sich Françoise schon [257] wieder zu Wort: »Einerseits bin ich stolz, dass es den kleinen Victor dank meiner Fürsprache überhaupt gibt. Andererseits frage ich mich, ob es für Birgit vielleicht doch nicht die richtige Lösung war. Ich bin völlig verunsichert…«
    Wir tauschen die Mail-Adressen aus und verabschieden uns herzlich. Ich verspreche, Françoise über die weiteren Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten.
    Manuel hat originelle Fotos von Victor gemacht, und ich beschließe, eines davon sofort nach Draguignan zu senden. Kaum sitze ich aber am Computer, als bereits eine bebilderte Mail aus Frankreich eintrifft. Es ist ein sommerliches Foto vom letzten Jahr: Birgit zwischen der netten Françoise und der kleinen Lilou.
    Die Französin ist ein burschikoser, braungebrannter Typ mit ganz kurzen, lackschwarzen Haaren. Sie trägt sportlich aufgekrempelte Hosen und ein blaues Männerhemd. Neben ihr sieht die auffällig blasse Birgit fast nordisch aus. Sie steckt in einem bunten Minikleid und betont den tiefen Ausschnitt mit einem rosa Muschelanhänger, den ich schon einmal gesehen habe. Allerdings nicht an ihr, sondern an Julians Großmutter. Seltsam, denn die beiden Frauen haben einen völlig unterschiedlichen Geschmack.
    [258] Das Gespräch hat mich aufgewühlt, ich stelle ärgerlich fest, dass ich Kopfschmerzen bekomme. Erst heute Abend werde ich Birgits Schwester erreichen können und fürchte mich davor. Ich weiß fast nichts über diese Kirsten, denn das Verhältnis der beiden Schwestern war distanziert.
    Als ich hinunterkomme, um Victor zu übernehmen, fühlt mir Patrick erschrocken die Stirn. »Anja, hast du Fieber? Du glühst ja!«
    Es musste so kommen. Anständige Lehrer fehlen nie während der Schulzeit, kaum aber sind endlich Ferien, werden sie krank. Die einen nennen es Entspannungsdepression, die anderen Überforderungssyndrom. Bei mir trifft momentan beides zu.
    Patrick nähert sich mit einem als unpräzise bekannten Ohr-Thermometer und stellt schon nach Sekunden eine erhöhte Körpertemperatur fest. »Überlass mir das Bärchen«, sagt er, »am Ende steckst du es an. Weiß der Teufel, was du gerade ausbrütest!«
    »Ich liege noch nicht auf dem Totenbett«, sage ich, aber im Grunde möchte ich ganz gern mit einem Aspirin im Abseits verschwinden.
    Manuel steckt den Kopf zur Tür herein. »Ich bin dann mal weg, wartet nicht mit dem Abendessen auf mich«, sagt er. »Anja, was ist mit dir?«
    »Sie hat ausnahmsweise keinen Bock auf [259] vollgeschissene Windeln«, sagt Patrick. »Wir gönnen ihr ein Stündchen auf ihrer Récamière.«
    »Müßiggang ist aller Laster Anfang«, sagt Manuel und verschwindet.
    Ich lege mich nicht aufs Sofa, sondern verziehe mich lieber gleich ins Schlafzimmer. Wie angenehm, dass Patrick sofort für mich einspringt. Was machen wohl die vielen Mütter, die von einer Grippe erwischt werden und keinen Mann haben, der zur Stelle ist? Wie würde ich mich verhalten? Da brauche ich gar nicht lange zu überlegen, für diesen Fall wurden die

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