Kühlfach vier
habe ich sie dabei ertappt, wie sie einfach nur Luft ausgeatmet hat. Immer waren
Wörter dabei, ihr ganzer Körper schien voll davon zu sein und sie schienen ihr einfach so durchzuflutschen. Nina kann sabbeln,
schwaddeln, quaken, texten, opern, waffeln, labern, einfach alles, was irgendwie mit sprechen zu tun hat.
Ich hatte hier und jetzt auf ihrem Sofa nicht den Eindruck, dass Nina – von großer Trauer überwältigt – nicht in der Lage
gewesen wäre, mehr zu sagen, sondern dass der Grund ihrer ungewöhnlichen Sprachhemmung ein anderer |49| war. Sie blickte irritiert, war sich vermutlich nicht ganz sicher, welche Reaktion von ihr erwartet wurde, und hielt sich
entsprechend zurück. Sie schlug die langen Beine, die in einer rosa glänzenden Polyester-Sporthose steckten, übereinander
und versuchte ein Lächeln.
»Könnten Sie sich vorstellen, dass er ermordet wurde?«
Was sollte das für eine Frage sein? Könnten Sie sich vorstellen, dass vor zehn Millionen Jahren Dinosaurier auf der Erde lebten?
Nein? Ach so, dann gab es wohl keine! Ich hätte mir gern die Haare gerauft, aber als entleibtes Seelenwesen fiel diese Reaktion
natürlich aus. Martin, aufwachen! Du bist der Bulle, sie ist verdächtig, nimm sie in die Zange!
Martin fuhr sich etwas fahrig mit der Hand über die Stirn.
»Äh, also ich weiß nicht«, war die wenig qualifizierte Antwort meiner teuren Exhexe, aber auf eine dämliche Frage kann man
nicht allen Ernstes eine gescheitere Antwort erwarten. Ich beeilte mich, Martin diese Schlussfolgerung wissen zu lassen, woraufhin
dessen Nervosität stieg. »Wüssten Sie jemanden, der einen Grund hätte, ihn umzubringen?«, fragte er.
»Pablo«, sagte Nina, ohne zu zögern. »Wie er richtig heißt, weiß ich nicht, aber Pablo glaubt, dass Sascha schuld daran ist,
dass er im Knast sitzt.«
»Aber wenn Pablo im Knast sitzt, kann er ihn nicht umgebracht haben«, wandte Martin ein.
Nina zuckte die Schultern, machte einen Schmollmund und dachte nach. Zumindest tat sie so. Ob ihr Gehirn in so einer Situation
wirklich eine gewisse Aktivität entfaltete, habe ich nie durchschaut.
|50| »Warum fragen Sie mich das?«, wollte sie plötzlich wissen. »Wir sind schon seit ein paar Monaten nicht mehr zusammen.«
Hoffentlich antwortet er jetzt nicht, dachte ich. Die einschlägig coolen Typen aus einschlägig coolen Filmen sagen an der
Stelle immer »Die Fragen stelle ich«, aber so einen Spruch traute ich Martin nicht zu. Zu Recht, er ließ die Gelegenheit verstreichen.
Immerhin antwortete er auch nicht, sondern stellte eine weitere Frage.
»Warum sind Sie nicht mehr zusammen?«, fragte er.
»Weil er mich beschissen hat.« Sie spuckte die Worte förmlich aus.
»Das stimmt nicht«, schrie ich dazwischen. »Das war ganz anders.«
»Was ist passiert?«, wollte Martin von Nina wissen, und wir redeten beide gleichzeitig auf ihn ein.
»Nicht alle durcheinander«, rief er entnervt, und Nina glotzte ihn an, als hätte er sich plötzlich vor ihren Augen eine rot-weiße
Mütze aufgesetzt und angefangen, Jingle-Bells zu singen.
»Was heißt hier durcheinander?«, fragte sie. Ihre Augen waren nur noch schmale Schlitze, ihr Anblick war wirklich furchteinflößend.
Vorausgesetzt natürlich, dass man vor einer Tussi Angst hat.
»Entschuldigung, ich meinte, fangen Sie doch bitte noch einmal an«, stammelte Martin. Ich zwang mich, die Klappe zu halten,
weil er sonst das Verhör, das sowieso unter keinem guten Stern zu stehen schien, noch völlig versemmeln würde.
»Er sollte mein Auto reparieren, hat mir Geld abgeknöpft, weil er Ersatzteile kaufen musste, hat er gesagt. |51| Dann lief die Karre, aber eine Woche später sprang sie wieder nicht an. Er hat wieder Geld für Teile gekriegt und wieder ging’s
eine Woche gut, dann war Schicht. Ich habe einen Kumpel gebeten, sich das mal anzusehen, und der meinte, dass da überhaupt
keine neuen Ersatzteile drin sind.«
»Und dann?«, fragte Martin, während Nina an ihrer Kippe nuckelte und ihre Wut noch einmal aufwärmte wie Dosenravioli.
»Dann sollte er die Karre verkaufen, hat er auch getan, hat mir aber gesagt, er hätte nur vierhundert Mäuse dafür bekommen.
Nachher hat mir einer gesagt, das wäre auch gelogen, er hätte sechshundert gekriegt. Die zweihundert hat er also auch geklaut.«
Ich hielt den Mund. Nina hatte unrecht, aber das musste ich Martin nicht ans Bein binden. Ich hatte ihr Auto für satte achthundert
vercheckt. An
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