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Kühlfach vier

Titel: Kühlfach vier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Profijt
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ihr doch noch etwas gefunden?«
    »Äh, nein.« Martins Blick wich dem des Freundes aus.
    »Warum interessiert dich der Fall?«, fragte Gregor.
    »Ach, eigentlich interessiert er mich gar nicht so sehr«, gab Martin zurück. Die Antwort hörte sich nach einer schlechten
     Lüge an, weil sie genau das war.
    Zum Glück sah Gregor auf die Uhr. »Ich muss leider los. Gehen wir mal wieder was trinken? Morgen oder übermorgen?«
    Martin nickte, gab den Weg frei und atmete auf, als sein Freund die Stufen hinunterrannte.
    »Kommst du von hier aus allein zurecht?«, fragte er mich und ich bejahte. Das Gefühl der Erleichterung, das sich in ihm breitmachte,
     überrollte meine Wahrnehmung wie eine große, warme Welle. Darin eingeschlossen war die sichere Erwartung, dass mein natürlicher
     Aufenthaltsort hier im Keller dieses Instituts sein würde und er, wenn er es verließe, von meiner Gegenwart befreit wäre.
    Ich ließ ihn vorerst in diesem Glauben.
    |55| Meine Nacht war wieder total langweilig, wie Nächte mit lauter seelenlosen Leichen um einen herum eben so sind. Kennen Sie
     nicht? Da haben Sie nicht viel verpasst. Ich versuchte, andere herumirrende Geister aufzutreiben, konnte aber keine Anzeichen
     für die Gegenwart weiterer Seelen finden. Die Frage, warum gerade ich gerade hier gestrandet war, beschäftigte mich nur kurz.
     Für philosophischen Klimbim habe ich nie viel übriggehabt, und so schimmelte ich lieber ein bisschen herum, anstatt Antworten
     auf die wichtigen Fragen des Lebens und des Sterbens zu suchen. Warum zum Teufel gab es hier eigentlich keinen Fernseher?
     Gut, die Antwort lag zugegebenermaßen auf der Hand, denn in Kühlfächern lagernde Leichen benötigen üblicherweise keine derartige
     Zerstreuung. Nun befand ich mich allerdings in einer besonderen Situation und hätte gegen die sinnfreie Berieselung aus dem
     Glotzkasten nichts einzuwenden gehabt, denn an Schlaf war nicht zu denken. Schlaflos in Kühlfach vier, dachte ich und versuchte
     mir vorzustellen, wie eine romantische Komödie aus diesem Stoff entstehen könnte, kam aber zu keinem Ergebnis. Ich glaube,
     aufgesägte Leichen geben keine wirklich guten Hauptdarsteller für romantische Komödien ab. Sie sehen schon, meine Gedanken
     wurden immer blödsinniger, und ich fand das Herumhängen immer langweiliger, also machte ich mich auf die Suche nach einem
     Fernseher. Ich fand einen in einem Besprechungsraum, aber der war ganz ausgeschaltet. So aus, dass noch nicht einmal die Stand-by-Lampe
     brannte. Da ich keinen Finger mehr besaß, mit dem ich den Einschaltknopf hätte drücken können, strich ich zwar eine Zeit lang
     balzend um das formschöne Gerät herum, musste aber bald einsehen, dass mich das nicht weiterbringen |56| würde, und verließ den Konferenzraum. In einem weiteren Raum hatte ich mehr Glück. Ein Fernseher auf Stand-by. Ich versuchte,
     das Gerät mit meinen elektromagnetischen Wellen einzuschalten, denn von diesen Dingern hatte ich mal was gehört. Diese Wellen
     sind Gedankenimpulse oder so ähnlich. Aber auch Handys, Computer und vielleicht, mit ein bisschen Glück, auch Fernseher haben
     mit den Wellen zu tun. Also konzentrierte ich meine Gedanken darauf, den Fernseher einzuschalten. Ich will Sie nicht langweilen,
     deshalb fasse ich das Ergebnis meiner Bemühungen kurz zusammen: Es funktionierte nicht. Immerhin hatte ich Zeit totgeschlagen
     (lustige Formulierung, oder?) und musste nun nicht mehr ganz so lange auf die Rückkehr der edlen Rechtsmedizinritter warten.
     
    Zu Arbeitsbeginn kam Martin in den Keller, fragte in Gedanken »Alles klar bei dir?«, und entschuldigte sich dann, dass er
     furchtbar viel zu tun und im Moment keine Zeit für mich habe. Ich fühlte seine Erleichterung, als ich ihm sagte, das sei kein
     Problem, er solle einfach gar nicht an mich denken und seine wichtige Arbeit tun. Er trabte davon, ich hinterher. Natürlich
     hätte ich ihn in Ruhe lassen sollen, aber ich hatte bereits eine total langweilige Nacht hinter mir und wollte Action! Ich
     nahm mir fest vor, ihn nicht in peinliche Situationen zu bringen, und folgte ihm, ohne mich bemerkbar zu machen. Das klappte
     inzwischen ganz gut.
    Ich habe bisher kaum etwas Positives über Martin geschrieben und in dem Moment, in dem ich mich an seine Fersen heftete, um
     meiner Langeweile zu entkommen, hätte ich auch wirklich nicht damit gerechnet, dass ich einmal das Bedürfnis dazu verspüren
     würde. Aber jetzt, da ich |57| Martins Leben

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