Kuess mich - es ist Karneval
breiter, mit schwarzen und weißen Mosaiken ausgelegter Gehweg zu einem perlweißen Sandstrand von schier unermeßlicher Weite.
Es war erst neun Uhr vormittags, aber das Strandleben war bereits voll im Gang. Jogger kamen von beiden Richtungen, Jugendliche spielten schwungvoll Volleyball, sparsam bekleidete Sonnenanbeter rieben sich mit Sonnenöl ein. Die Vermischung der vielen Rassen hatte Hautfarben in allen Schattierungen hervorgebracht.
“Hier in Brasilien sagt man, daß die ,Paulistas’ in Sao Paulo arbeiten und Steuern zahlen, während die ,Cariocas’ in Rio Samba tanzen und sich am Strand Vergnügen”, erklärte Roberto.
Ellen lachte: “Und hier ist der Beweis. Es war übrigens nicht ganz leicht für mich, so kurzfristig hierherzukommen”, fuhr sie fort, wobei sie von einer Seite zur anderen sah, so als wolle sie die herrliche Aussicht um sich her tief in sich aufnehmen, “aber ich danke dir nochmals dafür, daß du mir diese Ferien ermöglicht hast.”
“Eigentlich mußtest du Conrado dafür danken.”
“Conrado?” fragte sie erstaunt.
“Er hinterließ mir einen Brief, in dem er mir mitteilte, daß du dir schon immer gewünscht hättest, einmal Rio zu sehen”, erklärte Roberto.
Ellens Mundwinkel zuckte. “Als du mir schriebst, hast du also lediglich seine Anordnungen befolgt.”
“Nein, ich bin auf seine Anregung eingegangen”, verbesserte Roberto sie.
Ellen blickte unverwandt zum Strand hinüber, obwohl sie ihn diesmal gar nicht wahrnahm. Zu erfahren, daß Roberte sie nur eingeladen hatte, weil er es als seine Sohnespflicht ansah, änderte alles. Das machte ihre Versöhnungstheorie mit einem Schlag zunichte.
Ellen spürte heiße Wut in sich aufsteigen. Sie fühlte sich herabgesetzt und hintergangen. Hätte sie nicht diesen Ärger empfunden, wäre sie bestimmt in Tränen ausgebrochen.
“War es auch Conrado, der dir die Anweisung gab - verzeih, den Vorschlag machte -, mir ein Ticket erster Klasse zu schicken und …” Sie sah aus dem Wagenfenster, als sie gerade am Copacabana-Palace-Hotel vorbeifuhren, das wie eine riesengroße weiße Geburtstagstorte aussah. “… und mich in einem Fünfsterne-Hotel unterzubringen?” Ein dünnes Lächeln war auf ihren Lippen zu sehen. “Vielleicht hat er in seinen Brief auch noch ein Bündel Geldscheine hineingelegt, damit es dir leichter fällt, für meine Ferien aufzukommen?”
Roberto nahm seine Sonnenbrille ab und blickte sie scharf an.
“Die Reise erster Klasse war meine Idee, und ich finanziere alles selbst.” Er klappte seine Brille zusammen und steckte sie in seine Westentasche. “Und du wirst nicht im Hotel wohnen, sondern bei mir.”
“Bei dir?” Ellen hörte, daß ihre Stimme viel zu hoch klang.
Sie versuchte, in einer etwas tieferen Tonlage
weiterzusprechen. “Wo bei dir?”
“In dem Apartment, das ich hier in Rio gemietet habe. Dort gibt es zwei Schlafzimmer und reichlich Platz.”
“Aber…”
“Als ich dich anrief, um dir die Flugzeiten durchzugeben, erwähntest du, daß du sehr intensiv an deiner Karriere arbeitetest. Also nahm ich an, daß du keinen Ehemann hast, der dagegen Einspruch erheben könnte. Und ich bezweifle auch, daß du mit einem Liebhaber zusammenlebst.” Roberto sah spöttisch zu ihr hinüber.
“Weder das eine noch das andere”, bestätigte Ellen.
“Hast du überhaupt schon einmal mit einem Liebhaber zusammengelebt?”
“Nein.” Im selben Moment fiel ihr ein, daß er sie nun vermutlich als recht altmodisch ansehen würde.
“Das habe ich mir gedacht”, bemerkte Roberto trocken. “Hast du denn einen Freund?”
“Zur Zeit gerade nicht”, gab sie zu, und ärgerte sich sofort über ihre Antwort. Sie hätte lügen sollen! Warum hatte sie nicht eine Liebesaffäre vorgetäuscht - oder zwei oder drei, anstatt seine Vorstellung von ihr als das prüde, sittsame Fräulein Blanchard noch zu untermauern? “Aber ich bin keine Jungfrau mehr”, fügte sie spontan hinzu.
“Halleluja”, sagte er.
Ihre Wangen glühten. Was, um alles in der Welt, hatte sie veranlaßt, das zu sagen? Sie mußte ihm doch nichts beweisen.
Warum also gab sie derart persönliche und intime Dinge über sich preis?
“Trotzdem glaube ich nicht, daß du bereits viele Liebhaber gehabt hast”, ging er spöttisch lächelnd auf ihre Mitteilung ein.
“Zwei”, erklärte Ellen, fragte sich aber unmittelbar danach, warum sie die genaue Zahl genannt hatte. “Ich bin sicher, dein Apartment ist sehr komfortabel”, lenkte sie
Weitere Kostenlose Bücher