Kuess mich - es ist Karneval
rasch vom Thema ab, voller Angst, noch mehr Vertraulichkeiten über sich auszuplaudern, “und dein Angebot ist sehr freundlich. Aber …”’
“Du benimmst dich, als wäre ich Iwan der Schreckliche”, unterbrach er sie und schien plötzlich die Geduld zu verlieren.
“Nein, nein!”
Sie empfand Roberte nicht als Bedrohung. Nur ihre eigene sexuelle Wehrlosigkeit, die offenbar durch ihn ausgelöst worden war, machte ihr Sorgen. Sie hatte den Verdacht, daß ein zu häufiges und zu enges Zusammensein mit ihm nur
Schwierigkeiten mit sich bringen wurde. Wenn es doch nur einen Mann in ihrem Leben gäbe, dann wäre sie nicht von so schwankenden Gefühlen heimgesucht, und es würde ihr nicht so schwerfallen, sich gegen Roberto zur Wehr zu setzen.
“Ich bin sicher …” begann sie noch einmal, Einspruch zu erheben.
“Versteh doch, wir haben Karneval, und alle Hotels sind belegt”, erklärte Roberto unwirsch.
“Alle? Hast du es denn bei allen versucht?”
“Meine Sekretärin hat bei jedem halbwegs anständigen Hotel angefragt.”
Ellen verstand sich selbst nicht mehr. Zwar wollte sie nicht bei ihm wohnen, trotzdem ärgerte es sie, daß er nichts unversucht gelassen hatte, eine andere Unterkunft für sie zu finden.
“Dann hättest du mich vielleicht früher einladen sollen”, gab sie in gereiztem Ton zu bedenken. “Wenn du den Brief gleich nach Conrados Tod gefunden hast, hättest du es schon vor einigen Monaten tun können, anstatt so lange zu warten. Ich frage mich wirklich, was du dir dabei gedacht hast.” Ihr Gesichtsausdruck wurde eisig. “Könnte es sein, daß du gehofft hattest ich würde bei einer so kurzfristigen Einladung absagen?
Daß ich sagen müßte ,nein, danke’, und du damit aus den Schneider gewesen wärest?”
Sichtbar pochte eine Ader an Robertos Schläfe. “Sollte es dir gelingen, wie ein erwachsener Mensch darüber nachzudenken, müßtest du zugeben, daß ich nicht die geringste Veranlassung gehabt hätte, dich nach Rio einzuladen, um dir die hiesigen Sehenswürdigkeiten zu zeigen, wenn ich nicht damit einverstanden gewesen wäre. Schließlich wußtest du weder daß mein Vater gestorben war noch, daß er mir einen Brief mit …” er machte eine kurze Pause, um dem Folgenden mehr Nachdruck zu verleihen, “… seinen Anregungen hinterlassen hat. Hätte ich es dir nicht erzählt, hättest du nie davon erfahren. Vielleicht könntest du deine Spekulationen darüber, daß ich absichtlich bis zur letzten Minute gewartet hätte, lassen. Wie ich dir schon sagte, habe ich die vergangenen Monate damit verbracht, zwischen Sao Paulo und Rio hin-und herzupendeln. Fast jeden Tag habe ich vierzehn Stunden gearbeitet. So blieb mir kaum noch Zeit, mich um irgendwelche anderen Dinge zu kümmern,”
Ellen machte ein finsteres Gesicht. Sie war keineswegs darüber erfreut, so abgefertigt zu werden, mußte jedoch zugeben, daß seine Erklärung glaubwürdig klang.
“Selbst wenn das alles stimmt, hast du mich ja nur wegen Conrado eingeladen.” Sie war so verletzt, daß ihre Stimme scharf und vorwurfsvoll klang. “Und jetzt hast du mich am Hals”, fuhr sie fort, “nachdem du in ganz Rio vergeblich nach einem Hotelzimmer gesucht hast.” Sie lächelte gekünstelt. “Du Ärmster!”
“Ich werde es überleben.”
“Ich werde ohnehin nicht oft zu Hause sein”, erklärte sie trotzig. “Ich bin nämlich Fotojournalistin …”
“Das erklärt die tolle Ausstattung”, unterbrach Roberto sie mit einem Blick auf ihre Kameratasche.
“Ganz richtig. Und während ich hier bin, werde ich Aufnahmen von der Stadt machen, um meine Artikel mit Fotos zu illustrieren.”
“Bist du deshalb so versessen darauf gewesen, hierherzukommen?”
Ellen sah zur Bucht hinüber, wo auf einer Leine bunte Wäsche im Wind flatterte. Sie hatte schon seit langem den Wunsch gehabt, Rio zu besuchen. Außerdem bot dieser Besuch eine gute Möglichkeit, ihre berufliche Karriere weiter auszubauen. Doch der Hauptgrund für diese Reise war, daß sie in Robertos Einladung seinen Wunsch zu sehen glaubte, endlich zu vergeben und zu vergessen und nach langer Zeit einen Schlußstrich unter die Vergangenheit zu ziehen. Aber da hatte sie sich wohl getäuscht.
Sie nickte. “Ja, genau”, beantwortete sie seine Frage.
“Für wen arbeitest du?” fragte er.
“In den letzten drei Jahren war ich beim ,Reporter’ mit einer Gruppe von Zeitungsleute. Ich hatte einen interessanten Job, der mich durch ganz Großbritannien und in
Weitere Kostenlose Bücher