Kuess mich, und ich bin verloren
nur erzählen, wie er verletzt worden und in Gefangenschaft geraten war, wie er sein Gedächtnis verloren hatte – irgendetwas. Doch es kam nichts. Gar nichts.
Drückend lastete das Schweigen auf ihnen.
Clea wartete noch immer. Die Hände fest zusammengeballt hörte sie ihr eigenes Herz klopfen. Sie wartete darauf, dass er ihr erklärte, warum er so lange fort gewesen war. Sie war sogar bereit, jede Erklärung einfach so hinzunehmen. Ohne daran zu zweifeln und ohne jeden Vorwurf, weil sie wegen ihm vier Jahre durch die Hölle gegangen war. Brand war zurück, das war alles, was zählte. Oder etwa nicht? Sie liebte ihn. Ohne ihn war ihr das Leben unerträglich leer vorgekommen. Wie konnte sie bei seiner Rückkehr nur so leiden, während sie sein Verschwinden irgendwie überstanden hatte – und auch seinen Tod?
Als die Minutenzeiger der Wanduhren immer weiter voranschritten, gab Clea schließlich die Hoffnung auf.
Brand würde ihr nichts erklären.
Aber warum nicht? Empfand er etwa nichts mehr für sie?
Es gab nur einen Weg, das herauszufinden. „Brand …“ Clea stieß sich vom Schreibtisch ab, der ihr Sicherheit gegeben hatte, und stellte sich auf Zehenspitzen. Dann legte sie ihm die Hände auf die Schultern. Unter ihrer zärtlichen Berührung zuckten seine Muskeln.
Tief in ihrem Inneren regte sich ein Verlangen, heiß und unerwartet. Gott, wie sehr sie ihn vermisst hatte! Sie erinnerte sich genau an den Duft seines Körpers, eine Mischung aus Moschus und einem ganz eigenen, herb-männlichen Aroma.
Clea schloss die Augen und bog sich ihm entgegen. Ein Beben durchlief sie, als sie sich an seinen muskulösen Leib schmiegte. Sein warmer Körper erweckte sie wieder zum Leben, nachdem sie vorher von der lähmenden Kälte überwältigt worden war. Es schien, als würden sich ihre Körper noch immer verstehen, auch wenn sie einander sonst fremd geworden waren.
Gerade, als sie mit den Lippen Brands Wange berührte, löste er sich aus ihren Armen.
Er trat einen halben Meter zurück, sodass er fast an der Tür stand. Sein Atem ging stoßweise, und seine Augen glänzten.
„Was zum Teufel hast du nur?“ Eigentlich fluchte Clea sonst nie, aber als er sich jetzt so vehement von ihr losriss, konnte sie nicht anders. Noch einmal würde sie nicht versuchen, für eine Versöhnung zu sorgen.
„Das fragst du noch?“
„Ja!“ Clea war wütend. Er behandelte sie, als hätte sie eine ansteckende Krankheit. Dabei war sie doch nur schwanger. Doch Brand blieb unerbittlich. Sie waren in einer Sackgasse gelandet, und Clea wurde immer wütender. Nein, auch sie würde ihm nichts mehr erklären. Jedenfalls nicht, bevor er ihr nicht den Respekt und das Vertrauen entgegenbrachte, das sie verdiente.
„Ist es nicht vollkommen egal, was ich habe?“ Seine Stimme klang kalt. „Was uns verbunden hat, ist sowieso Vergangenheit.“
Vergangenheit? Als Clea das hörte, machte ihr Herz einen Sprung. Sie war bestürzt und vergaß ihren Entschluss, nicht mehr auf ihn zuzugehen. „Brand! Das glaubst du doch nicht wirklich, oder?“
„Doch. Es ist vorbei.“ Er sah sie an. Aber während ihr sonst unter seinem Blick oft heiß wurde und es in ihr zu kribbeln begann, wurde ihr nun unerträglich kalt. „Es ist viel Zeit vergangen. Vermutlich zu viel Zeit, als dass es zwischen uns noch immer so sein könnte wie früher.“
Der Schmerz durchfuhr Clea wie ein Blitz. Um sie herum fiel die Welt in Trümmer, während sie noch versuchte, das Durcheinander in ihrem Kopf zu sortieren. War Brand ihr doch untreu gewesen? War er nur zurückgekommen, um sich von ihr scheiden zu lassen?
Jetzt endlich erkannte sie, wie naiv ihr unerschütterlicher Glaube an ihn und seine Liebe gewesen war.
„Hast du einmal mit Anita Freeman zusammengelebt?“ Die Frage entfuhr ihr, ohne dass sie nachgedacht hatte.
„Warum fragst du das jetzt?“
„Du warst also mit ihr zusammen!“
Er schien völlig unbewegt. „Eine Zeit lang.“
„Wie lange?“
„Warum interessiert dich das so? Es war vorbei, als wir uns kennengelernt haben.“
Cleas Gehirn leistete Schwerstarbeit: Brand wich ihr aus. Sie hatte nicht mit ihm nach Griechenland fahren dürfen. Und von dort war er, ohne es mit ihr zu besprechen, in ein Land gereist, von dem er wusste, dass sie es als zu gefährlich ansah. Anita Freeman aber war bei den Reisen dabei gewesen, so die Ermittler. Man hatte die beiden in Athen fotografiert, und in Bagdad hatten Zeugen ausgesagt, sie ebenfalls zusammen gesehen
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