Küsse, die "Verzeih mir" sagen
machte Annie ihr das Gewünschte.
„Ich muss noch ein bisschen arbeiten“, sagte sie dann. „Hast du Hausaufgaben auf?“
Roberta nickte.
„Dann sag Bescheid, wenn du fertig bist. Danach machen wir uns einen gemütlichen Abend.“
Sie war entschlossen, sich vor Roberta nichts anmerken zu lassen, doch das ungute Gefühl steigerte sich von Minute zu Minute. Was für ein Parknotfall sollte das sein, bei dem Chase sich so lange nicht bei ihr melden konnte? „Bist du so weit, Liebes?“
„Ich will nicht ohne Daddy zum Halloweenumzug!“, rief Roberta aus ihrem Zimmer. „Meinst du, es ist ihm etwas passiert?“
„Nein, das glaube ich nicht.“
„Aber er ist jetzt schon drei Tage weg!“
Robertas verzweifelte Stimme passte zu Annies Stimmung, aber noch immer war sie entschlossen, ihre Tochter nicht unnötig in Panik zu versetzen.
„Als Parkranger hat er eben wichtige Pflichten, und nicht immer darf er darüber sprechen, woran er gerade arbeitet“, versuchte sie Roberta und sich selbst zu beruhigen. „Wenn du nicht mitkommst, wird Nicky sehr enttäuscht sein, und dir wird es hier ganz allein auch nicht gefallen. Damit ist deinem Daddy nicht geholfen, ganz im Gegenteil“, sagte sie durch die geschlossene Tür zu Robertas Zimmer.
Roberta seufzte. „Na gut, ich komme mit.“
Zum Glück hatte Roberta bis zum letzten Moment mit Chases Anruf gerechnet und sich in der Zwischenzeit als Hermine verkleidet. Und zum Glück waren die Zaubererumhänge weit genug, um einen Mantel darunter zu tragen, denn draußen hatte es schon seit Stunden geschneit.
„Daddy wollte mir seinen Zauberstab aus dem Büro mitbringen …“
Jetzt bloß nicht an Chase denken.
„Vielleicht ist es besser, wenn du ihn nicht dabei hast. Die anderen Kinder würden ihn alle anfassen wollen.“
„Ich weiß“, sagte Roberta und öffnete die Tür. Abgesehen davon, dass sie dunkle Haare hatte, sah sie exakt wie Hermine aus.
„Oh Liebes, du siehst fantastisch aus!“, rief Annie.
„Und Sie müssen eine indianische Prinzessin sein“, erwiderte Roberta schon ganz in ihrer Rolle. „Wer genau soll das sein?“
„Das ist ein Geheimnis. Ich wollte sehen, ob dein Vater es rausfinden kann.“
„Natürlich“, gab Roberta in Hermines etwas arrogantem Tonfall zurück. „Mein Vater ist brillant. Er würde es sofort erkennen, wenn er denn hier wäre.“
Beide brachen in Gelächter aus, und Annie war ihrer Tochter dankbar fürs Mitspielen. Es half ihnen beiden, die Anspannung zu ertragen, die Chases Verschwinden auslöste.
Sie umarmten sich vorsichtig, um ihr Make-up nicht zu verschmieren. Annie hatte ihre Augen schwarz umrandet und sich bronzefarben geschminkt, um Prinzessin Tee-Hee-Neh darzustellen. Ron Saddler hatte bei einem Freund ein passendes Indianerkleid dafür geliehen. Die Mokassins, die sie im Parkshop gekauft hatte, würde sie allerdings erst später bei der Party tragen können, nicht schon beim Umzug, denn der Neuschnee erforderte Winterstiefel.
Der einzige authentische Teil ihres Kostüms war ein Stirnband, wie es früher die Ahwahnee-Frauen im Yosemite Valley getragen hatten. Der Legende nach hatte Tee-Hee-Neh lange dunkle Haare gehabt, dafür musste Annie ihr Haar also nur offen tragen.
Als es an der Tür klingelte, begann ihr Herz zu hämmern, weil sie hoffte, es könnte Chase sein. Roberta war schneller als sie und öffnete – doch vor der Tür stand Harry Potter. Begleitet wurde er von einer Hexe und dem Gevatter Tod, der mindestens einsneunzig groß war und eine gruselige Plastikmaske trug.
„Ach du liebe Güte!“
Roberta nahm ihr die Worte aus dem Mund. Vance sah wirklich bedrohlich aus.
„Kommt schnell rein und macht die Tür zu“, drängte Annie, als eisige Luft hereinströmte. „Mr Potter, ich fühle mich direkt nach Hogwarts versetzt.“
„Danke“, kicherte Nicky. „Und du siehst schön aus.“
„Ich danke dir. Wollen wir losziehen?“
„Auf geht’s!“, jubelte Nicky und war schon wieder draußen.
Draußen tummelten sich schon andere verkleidete Gestalten, und da der Schnee mittlerweile einen halben Meter hoch lag, fühlte sich Annie ins Fantasialand versetzt. Nur fehlte Chase. Wie sollte sie noch eine Nacht ohne ihn aushalten?
Nachdem die Kinder bei mehreren Häusern geklingelt und ihre Süßigkeiten eingesammelt hatten, gingen sie zu den Sims, wo die Party stattfand. Es gab jede Menge zu essen und eine Kostümprämierung. Der Preis für das furchterregendste Kostüm ging natürlich an
Weitere Kostenlose Bücher