Küsse im Morgenlicht
vorspielen mochte - zumindest diese gewisse erotische Spannung, diese Anziehungskraft, die zwischen ihnen beiden herrschte, war echt. Dieses Zueinanderhingezogensein gehörte ganz gewiss nicht zu den Trugbildern, die Luc, ein Meister der Verführung, womöglich nur deshalb erschaffen haben könnte, um Amelias Sinne zu verwirren und ihre Instinkte zu lähmen. Denn in Wahrheit war doch auch dieser Meister der Verführung bereits von etwas viel tiefer Gehendem erfasst als bloß dem rein physischen Verlangen.
Diese Erkenntnis ließ Amelias Herz schneller schlagen und gab ihrer Hoffnung neuen Auftrieb. Luc schien wie der Inbegriff eines Mannes, der nicht nur von der reinen Wollust beherrscht wurde, sondern den etwas noch unendlich Stärkeres trieb und ihn regelrecht in seinen Klauen hatte. Weder die Richtung seines Strebens noch sein endgültiges Ziel verrieten ihn, sondern die Intensität des inneren Zwangs, unter dem er zu stehen schien. Schließlich war Luc ein Mann, der für gewöhnlich alles in seinem Leben fest unter Kontrolle zu halten pflegte. Nun aber wirkte er ganz so, als ob nicht mehr er die Dinge befehligte, sondern als ob vielmehr eine geheimnisvolle Macht ihn beherrschte...
Das also war der Grund oder zumindest teilweise der Grund dafür, weshalb Luc Somersham Place so schnell wieder hatte verlassen wollen; weshalb er so ungeduldig darauf bedacht gewesen war, Amelia endlich ganz für sich allein zu haben. Er wollte...
An genau diesem Punkt hielt Amelia gedanklich inne. Sie weigerte sich, ihre Fantasie noch weiter schweifen zu lassen. Und kämpfte gegen den plötzlichen Sog aus Neugier und Erregung an, der in ihrem Inneren aufbrandete.
Das leise Klirren, mit dem sie ihr Besteck auf dem Teller ablegte, ließ Luc jäh aufblicken.
Sofort räumte der Butler Amelias leer gegessenen Teller ab; zwei Lakaien trugen eilig die Platzteller hinaus. Als Cottsloe Luc kurz darauf eine Auswahl an Portweinkaraffen präsentierte, schüttelte dieser nur brüsk den Kopf. Den Blick fest auf Amelia gerichtet, leerte Luc seinen Weinkelch und setzte ihn mit einem leisen Klappern auf dem Tisch ab. Dann erhob er sich, ging auf Amelia zu, nahm ihre Hand und zog sie von ihrem Platz hoch.
»Komm.«
Mit eisernem Griff führte er sie aus dem Speisezimmer hinaus. Amelia folgte ihm mit raschen Schritten, um zu verhindern, dass er sie regelrecht hinter sich herzerrte. Fast hätte sie gegrinst. Doch sie war viel zu aufgeregt, war ganz gefangen im Rausch der flirrenden Erregung. Ein Blick in Lucs Gesicht hatte ausgereicht - und sie war ein einziges Nervenbündel. Dieser besondere Ausdruck auf seinen Zügen sowie die unergründliche Dunkelheit in seinen Augen verwirrten sie.
Luc hielt Amelia stets eng an seiner Seite und marschierte die Treppe hinauf. Sollte sie so unklug sein, sich ihm entwinden zu wollen... wahrscheinlich brächte er es sogar glatt fertig, sie anzuknurren. Oder zumindest schien es so, als sie abermals einen raschen Blick in sein Gesicht warf. Eine regelrecht animalische Energie strömte von ihm aus. Amelia ging so dicht neben ihm, dass sie diese einfach wahrnehmen musste. Sie hatte das Gefühl, als ob diese raubtierähnliche Ausstrahlung ihr regelrecht den Atem nahm und an ihren Nerven zerrte.
Sie erreichten die erste Etage. Der Wohnbereich für den Hausherrn und die Hausherrin nahm den hinteren Teil des Haupthauses ein und somit quasi einen Ehrenplatz, der sich mit seiner großzügig bemessenen Wohnfläche noch ein ganzes Stück in die Gärten hinter dem Haus erstreckte. Ein kurzer Korridor endete in einem kreisrunden Vorraum, von dem aus man durch drei mit Schnitzwerk verzierte Eichentüren in drei verschiedene Zimmerfluchten gelangte. Links lagen die Räume der Vicomtesse - ein heller, geräumiger Privatsalon, von dem wiederum ein großes Ankleidezimmer und ein Bad abzweigten. Rechts des kleinen, runden Foyers lag die gleiche Anordnung von Räumen - Lucs Privatsuite. Zwischen diesen beiden Bereichen und damit unmittelbar hinter der mittleren Flügeltür befand sich das große gemeinsame Schlafzimmer.
Amelia hatte dieses Zimmer schon einmal bei einer früheren Gelegenheit gesehen. Es war ein weitläufiger Raum ohne unnötigen Zierrat und mit einem riesigen Himmelbett in der Mitte. Sie hatte das Zimmer damals gründlich in Augenschein genommen und sehr bewundert, denn seine Lage war einfach atemberaubend: Eingerahmt von den Gärten konnte man in drei Himmelsrichtungen den Blick über die Landschaft schweifen
Weitere Kostenlose Bücher