Küsse im Morgenlicht
- Amelia Ashford, Vicomtesse von Calverton!«
Die Jubelrufe, die daraufhin ausbrachen, waren geradezu ohrenbetäubend. Amelia errötete leicht und winkte den Angestellten kurz zu. Dann wandte sie sich wieder von ihnen ab, ließ sich von Luc über die Schwelle führen und in ihr gemeinsames Zuhause hinein.
Eilig marschierten die Bediensteten ihnen nach und schoben sich vorsichtig an ihnen vorbei, während Luc und Amelia in der großen Eingangshalle standen und sich von Mrs. Higgs erklären ließen, welche Vorbereitungen diese bereits getroffen hatte.
»Ich habe das Abendessen erst für halb neun geplant, Mylord, Mylady. Ich wusste ja schließlich nicht, wann Ihr ankommen würdet. Ist das nach Euren Vorstellungen?«
Luc nickte. Dann blickte er Amelia an und hob ihre Hand, die er noch immer fest umschlungen hielt, an seine Lippen. »Mrs. Higgs wird dir jetzt alles zeigen.« Er hielt einen Moment inne und fügte schließlich hinzu: »Ich bin unterdessen in der Bibliothek. Komm hinterher einfach zu mir.«
Sie lächelte und neigte den Kopf; widerstrebend öffnete er die Finger.
Anschließend blieb Luc noch einen Augenblick in der Halle stehen und sah Amelia nach, wie sie die Treppe hinaufstieg - doch seine Ehefrau bemerkte ihn gar nicht, sondern war bereits ganz in eine rege Unterhaltung mit ihrer Haushälterin vertieft. Dann, als sie um den oberen Treppenabsatz herum verschwunden war, wandte auch Luc sich ab und ging in Richtung seiner Bibliothek davon.
Am liebsten hätte er Amelia ihre gemeinsamen Räumlichkeiten selbst gezeigt, doch dann hätte Mrs. Higgs sich die Arbeit mit dem Abendessen ganz umsonst gemacht, und seine Dienerschaft hätte hinter vorgehaltener Hand mit Sicherheit so manches zu tuscheln gehabt, hätte wissend gekichert und sich gegenseitig zugenickt. Nein, diesen Spaß wollte Luc seinen Angestellten dann lieber doch nicht gönnen.
In der Vergangenheit war ihm dergleichen zwar egal gewesen. Heute aber sah er die Dinge anders.
Mit einem Glas Brandy in der Hand stand Luc vor dem hohen Bibliotheksfenster und beobachtete, wie der Himmel im Westen sich zunehmend verdunkelte. Ein Sommergewitter zog herauf; seine Pächter würden erleichtert sein. In weiter Entfernung sah er einen Blitz.
Luc hob sein Glas und nippte an dem Brandy, den Blick weiterhin fest auf die sich zusammenbrauenden Gewitterwolken gerichtet. Die stürmischen Mächte, die dort hoch über ihm in den Lüften wüteten, glichen den Kräften, die in seinem Inneren tobten - jenem Wirbel aus Emotionen, der Leidenschaft und des noch ungestillten Verlangens. Den ganzen Tag über hatte er sich nur mühsam bezähmen können, hatte er innerlich darum gerungen, seine Gefühle nicht plötzlich die Gewalt über sich erlangen zu lassen. Bis schließlich jeder Muskel seines Körpers angespannt war wie in einem realen, physischen Kampf und Luc nur noch einen Gedanken hatte: die Selbstbeherrschung nicht zu verlieren. Bis jetzt.
Damit wandte er sich vom Fenster ab, ging zum Kamin hinüber und ließ sich schwer in den davorstehenden Armlehnensessel fallen. Er wollte noch nicht daran denken, was sich später am Abend wohl noch ereignen würde, fühlte sich noch immer verfolgt von der Angst. Natürlich fürchtete er sich nicht davor, irgendwann ganz und gar die Beherrschung über sich zu verlieren. Nein, das würde ihm wohl trotz aller Verlockungen niemals im Leben passieren. Andererseits aber schien ihm schon bald zumindest ein ganz kleiner Teil seiner selbst nicht mehr vollends zu gehorchen - und diese Vorstellung reichte bereits aus, um ihn nachhaltig zu verunsichern. Es war, als ob ein gewisser Teil von Lucs Wesen, ein Teil, den er noch niemals zuvor kennen gelernt oder auch nur zur Kenntnis genommen hatte, plötzlich sein ganzes Handeln steuerte. Und es gab nichts, was Luc dagegen hätte unternehmen können.
Sicherlich konnte er noch immer sein unmittelbares Handeln kontrollieren. Die Folgen dieses Handelns aber, die hatte er nicht mehr in seiner Gewalt. Und er bestimmte auch noch immer selbst den Weg, den er beschritt. Doch das Ziel, nach dem er strebte, hatte er nicht mehr ganz allein selbst definiert.
Und während Lucs Verstand mit dieser Tatsache noch immer zu hadern schien, so schien ein tief in seinem Inneren steckender Instinkt doch bereits zu frohlocken, schien den Kopf in den Nacken zu werfen und der heraufziehenden Gefahr angriffslustig ins Gesicht zu lachen. Er wollte endlich das noch Unbekannte schmecken, wollte die absolute und
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