Küsse im Morgenlicht
unbezähmbare Wildheit kennen lernen, wollte sich selbst verlieren und im Kampf wieder finden, in der Erfahrung des Sinnesrauschs.
Luc nahm einen großen Schluck, dann setzte er sein Glas ab. »Gott sei Dank ist sie keine Jungfrau mehr.«
Luc saß noch immer wie hingegossen in seinem Sessel, als Amelia eintrat. Er wandte den Kopf um und musste sich bezwingen, um still sitzen zu bleiben, während er beobachtete, wie sie langsam durch den langgestreckten Raum schritt.
Amelia hatte ihr Reisekostüm gegen ein blassgrünes Seidenkleid eingetauscht und wirkte so zart wie ein sich gerade erst entfaltendes Blatt unter dem feinen Tau des Frühlings. Die Seide schmiegte sich fast schon wie eine liebevolle Geste an ihre Kurven, und der tiefe, geschwungene Ausschnitt hob den Ansatz ihrer Brüste hervor. Luc musterte die weiche Haut über ihren Schlüsselbeinen und die elegante Linie ihres Halses. Ihre goldenen Locken hatte sie hoch auf ihrem Hinterkopf aufgetürmt, und vor ihren Ohren ringelten sich feine Strähnchen. Sie trug keinerlei Schmuck außer dem Ehering, den Luc ihr an diesem Morgen erst an den Finger gesteckt hatte. Doch mehr Schmuck brauchte sie auch gar nicht. Schließlich blieb sie neben dem zweiten der gemütlichen Sessel stehen, das Gesicht zum Kamin gewandt und eingetaucht in das goldene Licht des auf dem Kaminsims stehenden Kandelabers. Ihre Haut schimmerte zart wie eine Perle.
Sie war seine Ehefrau. Sie war die seine. Selbst jetzt konnte er es noch kaum glauben. Er hatte sie schon so lange gekannt, hatte jahrelang geglaubt, dass Amelia weit außerhalb seiner Reichweite sei. Und dennoch gehörte sie nun ihm, und er konnte mit ihr machen, was er nur wollte. Das primitive Besitzdenken, das dieser Gedanke in ihm entfachte, war geradezu verwirrend. Selbstverständlich würde er ihr niemals wehtun, weder seelisch noch körperlich noch auf irgendeine andere Art und Weise. Er wollte nur eines: Amelia das Leben so genussvoll wie möglich gestalten. Schon lange hatte er an nichts anderes mehr denken können - so lange, dass er mittlerweile sehr genau wusste, wie weit das Gebiet der physischen Genüsse sich erstreckte.
Und die Vorstellung, dieses Gebiet nun gemeinsam mit ihr zu erkunden... Abrupt versuchte Luc, diesen Gedanken rasch wieder aus seinem Bewusstsein auszublenden. Und dennoch konnte er nicht anders, als sie weiterhin gedankenverloren anzustarren. Er bewunderte ihr Gesicht, ließ den Blick langsam hinabschweifen über ihre schlanke Gestalt, schwelgte in Fantasiebildern... und plante bereits ihre nächste Verführung.
Ruhig blieb Amelia vor ihm stehen, schaute ihn fest an, ihre Haut von ebenmäßiger Blässe - sie schien die Ruhe selbst. Und doch spürte Luc, wie ihr Herz schneller schlug. Er fühlte es so eindringlich, als wäre es sein eigenes Herz. Und er erahnte, wie ihre Haut innerlich zu glühen begann, sah, wie sie unwillkürlich die Lippen ein ganz klein wenig öffnete.
Dann hob er den Blick wieder zu ihren Augen empor, versuchte, den geheimnisvollen Ausdruck darin zu lesen, doch Amelia stand zu weit von ihm entfernt. Aber auch seine eigene Miene war nur schwer zu entziffern, und seine Augen blieben undurchschaubar. Nach einem Moment neigte sie den Kopf zur Seite und hob fragend ganz leicht eine Braue.
Doch es gab nichts, was Luc ihr hätte erklären können, was er ihr hätte erklären wollen. Jedes Wort wäre zu viel, jede Warnung überflüssig. Stattdessen hob er das Glas, prostete ihr zu und trank einen kleinen Schluck.
Plötzlich wurde die Tür geöffnet; beide drehten sich um.
Unter dem Türsturz stand Cottsloe: »Das Abendessen ist serviert, Mylord. Mylady.«
Tief grub die Ungeduld ihre Klauen in Lucs Bewusstsein. Doch er ignorierte sie einfach, erhob sich geschmeidig aus seinem Sessel, stellte das Glas ab und bot Amelia seinen Arm. »Wollen wir?«
Voller Neugier schaute sie zu ihm auf, ganz so, als ob sie sich nicht vollkommen sicher sei, worauf sich seine Frage bezog. Dann aber lächelte sie, legte leicht die Hand auf seinen Arm und ließ sich von ihm zur Tür führen.
13
Luc nahm überhaupt nicht wahr, welche Köstlichkeiten Mrs. Higgs und die Köchin zubereitet hatten; er schenkte dem Essen, das Cottsloe ihm auftat, keinerlei Aufmerksamkeit. Sicherlich, er musste zweifellos etwas von dem Mahl gegessen haben. Doch während draußen vor den Fenstern das Unwetter sich zunehmend bedrohlicher zusammenbraute und hohe Wolkenberge über die Landschaft türmte, glitt Luc immer tiefer in
Weitere Kostenlose Bücher