Küsse im Morgenlicht
auch euch beiden ein wenig Übung im Umgang mit männlicher Verehrung nicht schaden - egal, wie hoffnungslos diese Liebesmüh bei euch beiden auch scheinen mag. Denn wenn es irgendwann so weit ist, dass ihr euren Einstand in die Gesellschaft gebt, dann kann ein bisschen Geschick im Umgang mit verliebten jungen Männern ganz praktisch sein...«
Amelias Stimme wurde immer leiser, während die drei den Pfad hinabschlenderten. Vorsichtig schaute Luc aus seinem Versteck hinter der Eingangstür hervor. Seine junge Frau und die Mädchen gingen sehr langsam und hatten die Köpfe dicht zusammengesteckt - der eine Schopf schwarz, der andere blond und der dritte braun -, während Amelia ihren Vortrag hielt und seine Schwestern ihr zuhörten. Sicherlich, vielleicht verfolgten sie ihre Erläuterungen nur widerwillig, aber immerhin hörten sie ihr überhaupt zu.
Schon lange hatte Luc auf die passende Gelegenheit gewartet, um Penelope und Portia genau die gleiche, gut gemeinte Lektion zu erteilen, aber er hätte mit seinen Worten wahrscheinlich nicht halb so viel Erfolg gehabt wie Amelia.
Mal ganz abgesehen davon würde er natürlich auch niemals zugeben, im Umgang mit dem weiblichen Geschlecht stets ein wenig im Nachteil zu sein, bloß, weil er ein Mann war.
Ein solches Geständnis könnte man ihm noch nicht einmal dann entlocken, wenn dies der Wahrheit entspräche.
Luc stand in der Eingangshalle von Calverton Chase und spürte, wie die Anspannung in seinem Inneren langsam wieder ein wenig nachließ. Jene Anspannung, die auf ihm lastete, seit er den Entschluss gefasst hatte, seinen beiden jüngsten Schwestern einmal wegen ihres inakzeptablen Benehmens die Leviten zu lesen. Kaum dass dieser Problempunkt gelöst schien, kreisten seine Gedanken aber auch schon wieder um das Objekt seiner ständigen Begierde - jene junge Frau, an deren Auftreten es zwar ganz und gar nichts auszusetzen gab, mit der ihm aber dennoch noch so manche Machtprobe bevorstand.
Gerade wollte er das Gesicht zu einer resignierten Grimasse verziehen, bezwang sich dann aber wieder und marschierte entschlossenen Schrittes auf sein Arbeitszimmer zu.
Eine Woche voller sonniger, friedlicher Tage zog an ihnen vorüber. Immer wieder kündigte sich Besuch aus der Nachbarschaft an, als die Gutsbesitzer der umliegenden Ländereien mitsamt Anhang erschienen, um dem jungen Paar ihre Glückwünsche auszusprechen und Amelia in ihrer Mitte willkommen zu heißen. Da diese sämtliche ihrer Gäste bereits bei früheren Gelegenheiten kennen gelernt hatte, verliefen die spontanen Zusammenkünfte in entspannter, fast schon familiärer Atmosphäre. Doch auch zwischen den kleinen Empfängen war Calverton Chase von einem beständigen, lebendigen Summen erfüllt - ein Zustand, der Luc nicht nur vertraut, sondern auch höchst angenehm war.
Es war genau die Stimmung, wie sie schon immer in seinem Zuhause geherrscht hatte, sein ganzes Leben lang. Wie es sich für einen großen Haushalt geradezu gehörte, hallten ständig irgendwo Schritte durch die langen Korridore, das Gelächter und Getuschel seiner Schwestern war zu hören, die etwas gemäßigtere Stimme seiner Mutter, das Gekicher der Dienstmädchen und Mrs. Higgs knappe Anweisungen, sowie nicht zuletzt Cottsloes ruhiger, dunkler Bariton. Für Luc war dieses nie endende Gemurmel - ein Geräusch, in dem sich wiederum eine Vielzahl anderer Klänge miteinander vermischten - wie ein Synonym für all das, wofür er in den vergangenen acht Jahren so hart gekämpft hatte.
Die Geräusche, die jedes Jahr wieder durch Calverton Chase hallten, spiegelten die Essenz, die Seele seiner Familie wider, waren für ihn das Sinnbild eines Zuhauses.
Und nun gab es einen neuen Klang in der bereits schon so vertrauten Symphonie. Es hatte sich noch eine neue Instrumentalistin hinzugesellt. Immer wieder ertappte Luc sich dabei, wie er auf Amelias Stimme horchte und sie dabei belauschte, wenn sie mit seinen Schwestern sprach, wie sie sich mit einer kurzen Zwischenbemerkung in deren Unterhaltungen einmischte, sie korrigierte oder auch ermutigte.
Gemeinsam mit Minerva, Emily und Anne erwiderte Amelia die Besuche ihrer Nachbarn und bewies damit, dass sie der Rolle als neue Hausherrin über Calverton Chase durchaus gewachsen war. Sowohl Emily als auch Anne beobachteten Amelias Verhalten fortan ganz genau, lernten von ihr und nahmen dadurch wesentlich mehr von deren sozialen Umgangsformen auf, als sie je von Minerva angenommen hätten.
Schließlich traf
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