Küsse im Morgenlicht
der bereits erwartete Brief von Lord Kirkpatrick im Herrenhaus ein. Minerva war hocherfreut, und mit der Zuversicht einer Frau, die in derlei Dingen schon so manche Erfahrung hatte sammeln dürfen, ging sie davon aus, dass damit quasi bereits alles geregelt war und die Dinge nun ihren traditionellen Gang gingen. Zumal auch überhaupt kein Grund dafür bestand, irgendetwas Gegenteiliges anzunehmen.
Emily dagegen war natürlich vollkommen aus dem Häuschen und begann mit einem Mal, sich über alles Mögliche zu sorgen. Sogar über Angelegenheiten, die üblicherweise nicht das geringste Problem darstellten. Luc hatte sich bereits darauf eingestellt, dass er sich wohl oder übel einmal mit ihr zusammensetzen müsste, um ihre urweiblichen Ängste ein wenig zu zerstreuen. Doch Amelia kam ihm zuvor und übernahm an seiner Stelle die Aufgabe, sich mit der sensiblen Stimmung seiner Schwester auseinanderzusetzen, einer Angelegenheit, von der er ohnehin nur wenig verstand.
Emily nahm Amelias beruhigende Worte bereitwillig in sich auf, schenkte ihrer Schwägerin schließlich ein herzliches Lächeln und war fast unmittelbar darauf wieder ganz die Emily, wie sie alle kannten. Luc war seiner Frau für diese Unterstützung unendlich dankbar.
Ähnlich glücklich war er, als er entdeckte, dass sie sich zudem auch noch Annes angenommen hatte und sie in genau jene Richtung dirigierte, in die auch er selbst sie nur allzu gern geleitet hätte - und doch nicht so recht gewusst hätte, wie er dies überhaupt anstellen sollte. Amelia dagegen war es ein Leichtes, Anne weniger zu drängen als vielmehr zu unterstützen in deren Bestreben, ihre ganz eigene Orientierung im Leben zu finden. Aber Luc war ja schließlich auch ein Mann, womit ihm Frauenthemen im ganz Allgemeinen ohnehin ein Rätsel waren, das er nur ungern hätte lösen wollen. Zumal er seine Schwestern trotz seines dominanten Auftretens in Wahrheit nur schlecht unter Kontrolle hatte. Jede von ihnen hatte zwar ihr ganz eigenes Verhältnis zu ihrem Bruder, und doch konnten sie alle ihn quasi um den kleinen Finger wickeln.
Dann, eines Abends während des Essens, kam es wieder einmal zu einer Auseinandersetzung zwischen ihm und Portia. Zum Erstaunen aller mischte Amelia sich diesmal in die kleine Streiterei ein und trat genau zwischen die beiden Kontrahenten. Ein seltsames Gefühl überkam Luc in diesem Moment, nicht Dankbarkeit, sondern ein Gefühl, das er noch nicht näher beschreiben konnte.
Ein finsterer Blick, eine gewisse Anspannung, die ihn plötzlich erfasste - obwohl Amelia nun immer ganz am anderen Ende des Tisches saß, nahm sie Lucs Reaktion genau wahr. Nur ganz leicht hob sie eine Braue und konzentrierte sich ansonsten auf die Unterhaltung, deren Führung sie ihm soeben entrissen hatte.
Sobald sie in dieser Nacht jedoch allein miteinander waren, und noch ehe Luc das Thema von sich aus zur Sprache bringen konnte, erläuterte Amelia ihm von ganz allein ihr Verhalten während des Abendessens und forderte ihn - unumwunden - dazu auf, ihr Recht zu geben und ihr Auftreten zu billigen. Rasch gab Luc zu, dass Amelia genau richtig gehandelt hatte, schließlich hatte diese, was seine Schwestern anbelangte, meistens Recht. Sie konnte sich ganz einfach besser in das Denken der vier jungen Frauen hineinversetzen, als er es vermochte, und sie konnte ihm sogar erklären, was sie beobachtet hatte, sodass auch er Amelias Handeln schließlich nachvollziehen konnte und sich ihrer Meinung anschloss.
Zunächst widerwillig zog er sich also immer mehr aus den Belangen seiner Schwestern zurück und überließ es Amelia, den vieren die eine oder andere Hilfestellung zu geben. Dann aber wuchs sein Vertrauen in seine Ehefrau, und er erkannte, dass seine Zurückhaltung genau richtig gewesen war. Letztendlich blieb er ja ohnehin immer bestens informiert über die Gedankenwelten seiner Schützlinge. Amelia schaffte es stets, einen kleinen Augenblick für ein ruhiges Zwiegespräch mit ihm zu finden.
Und schließlich hatte sie in so winzigen Schritten, dass Luc dies zunächst gar nicht wahrgenommen hatte, fast die gesamte Last der Verantwortung für Emily, Anne, Portia und Penelope von seinen Schultern gehoben. Endlich konnte er sich entspannen. Und dann begriff er plötzlich. Er erkannte, dass er mit einem Mal wesentlich weniger barsch war in Gegenwart seiner Schwestern, dass er viel ruhiger geworden war und ihre Gegenwart ganz anders zu genießen wusste. Natürlich war seine Liebe für sie nun
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