Küstenfilz
Unterschied
zu Rasmussen musste er aber immer wieder einmal Rückschläge wegstecken. Da war
der Einbruch ein paar Jahre nach der Wende. Die Urlauberströme wurden an die
Mecklenburgische Küste umgelenkt. Und wenn Petrus es in einem Jahr nicht gut
mit unserer Gegend meint, dann merkt Petersen es an rückläufigen
Buchungszahlen. Da ist es schon vorgekommen, dass er mit seinen Kredittilgungen
ein wenig ins Stocken geraten ist. Seine Hausbank hat ihn daraufhin um eine
Stufe nach unten gesetzt. Das darf man aber nicht überbewerten. Das sind
unternehmerische Risiken. Er selbst gilt als solide und steht mit Sicherheit
nicht auf tönernen Füßen.«
»Und was hast du
über Joost in Erfahrung bringen können?«
»Das ist ein
trauriger Fall. Der duzt sich inzwischen mit dem Gerichtsvollzieher. Dem haben
sie alle Konten gesperrt, der zahlt seine Stromrechnung nicht, vom Auto haben
sie ihm die Plakette abgekratzt, weil er seine Steuern nicht bezahlt und ohne
Versicherungsschutz herumfährt. Das scheint eine arme Sau zu sein. Bei dem sind
die letzten Mäuse wegen Hunger aus seiner Scheune ausgewandert.«
Lüder bedankte sich
bei Horst Schönberg.
»Wo soll ich dir die
Rechnung hinschicken?«, fragte sein Freund.
»Rechnung?«
»Sicher. Das kostet
dich mehr als ein Glas besten Rotwein.«
»Ist in Ordnung«,
lachte Lüder.
Dann versuchte er,
bei der Göttinger Ingenieurgesellschaft jemanden zu erreichen, der ihm
Auskünfte über den Auftraggeber der Vermessungsarbeiten auf Rasmussens Land
erteilen konnte. Eine Frau erklärte ihm mit schnippischer Stimme, dass niemand
im Hause sei, der ihm die gewünschten Informationen geben könnte.
»Wann erreiche ich
den Geschäftsführer?«
»Das kann ich Ihnen
nicht sagen. Herr Wenzel ist viel unterwegs.«
»Dann geben Sie mir
seine Handynummer.«
»Die darf ich nicht
herausgeben.«
»Ich erwarte, dass
Ihr Chef mich in der nächsten halben Stunde anruft.«
»Ich werde es
ausrichten«, erwiderte die Frau stereotyp.
Kurz darauf meldete
sich Kriminaldirektor Nathusius.
»Ich habe eine gute
Nachricht. Im Wirtschaftsministerium wartet Dr. Diedrichsen auf Sie. Der
Minister hat nach seiner Rückkehr aus China zugestimmt, dass Sie sich in
Gegenwart seines Abteilungsleiters das Mobiltelefon vom zurückgetretenen
Staatssekretär Windgraf ansehen dürfen.«
Wenig später wartete
Lüder im Wirtschaftsministerium auf Dr. Diedrichsen. Obwohl ihm versichert
wurde, der Abteilungsleiter würde sich sofort um Lüders Anliegen kümmern,
musste er fast eine halbe Stunde warten.
In Kriminalfilmen
stürmt der Held stets ungestüm vorwärts, überlegte Lüder. Ich möchte nicht
nachrechnen, wie viel Zeit ich schon mit Warten vergeudet habe. Doch dann
lächelte er still in sich hinein. Manchmal bediente er sich auch der »Methode
Vorwärts«, doch hier, im Ministerium, musste er sich in Geduld fassen.
Dr. Diedrichsen
entschuldigte sich für seine Verspätung, als er atemlos ins Vorzimmer stürmte.
»Der Minister hat mich aufgehalten«, erklärte er und bat Lüder in sein Büro. Er
ließ einen Kaffee kommen und forderte telefonisch Windgrafs Handy an. Trotz
einer zwischenzeitlichen Ermahnung des leitenden Ministerialbeamten dauerte es
weitere zwanzig Minuten, bis jemand das Mobiltelefon brachte.
»Ist es seit dem
Ausscheiden des Staatssekretärs benutzt worden?«, fragte Lüder.
Dr. Diedrichsen
schüttelte bedauernd die Schultern. »Da kann ich nichts zu sagen.«
Lüder schaltete es
ein und war erstaunt, dass das Gerät nicht durch einen PIN -Code geschützt war.
»Das pflegen viele
Leitende so zu handhaben«, erklärte der Abteilungsleiter. »Die meisten der
Herren können sich den Code nicht merken und sind ziemlich hilflos, wenn es um
den Einsatz moderner Techniken geht. Unsere Bundeskanzlerin ist eine rühmliche
Ausnahme. Die schreibt ihre SMS selbst. Andere sind ständig abgeschirmt und haben jeden Kontakt zum
Alltagsleben der Bürger verloren.«
Der Mann mochte mit
seiner für einen hohen Beamten in seiner Position erstaunlich offenen Kritik
recht haben, dachte Lüder und sah sich die im Handy gespeicherten Kontaktdaten
an.
Windgraf schien auch
ein Vertreter der Gruppe zu sein, die sich bei der Handynutzung auf das
Telefonieren beschränkte. Jedenfalls gab es weder eingehende noch versandte SMS . Auch die Mediendatenbank war leer.
Dafür fand Lüder
jede Menge Telefonnummern, die den Staatssekretär angerufen hatten oder die er
angewählt hatte. Lüder notierte sich die
Weitere Kostenlose Bücher