Küstenfilz
einen Pferdeschwanz, der am Hinterkopf mit einem
Zierband gehalten wurde. Der Kopf ging in einen ebenfalls dünnen, langen Hals
über.
»Wissen wir inzwischen mehr über die Kontakte der
Frau?«, fragte sie Busch.
Der schüttelte den Kopf. »Wir haben noch nichts von
den Thüringern gehört.«
»Warum dauert das alles so lange?«, schimpfte Frauke
Dobermann. »Vor der Wiedervereinigung funktionierte deren Polizei besser.« Sie
war sich bewusst, dass ihre Bemerkung unsachlich war, aber es war ein Ventil
für die Ungeduld, die sie gepackt hatte.
Wie auf Kommando klingelte das Telefon.
»Meyer. Polizei Gera. Sind Sie die zuständige
Sachbearbeiterin, die sich nach Rotraud Kiesberger erkundigt hat?«
Die Stimme klang unüberhörbar sächsisch, obwohl die
Hauptkommissarin im Augenblick nicht zu sagen vermochte, wo der Unterschied zum
Thüringer Dialekt war. Vor ihrem geistigen Auge tauchte das Bild von Wolfgang
Stumph auf.
»Ich bin nicht die Sachbearbeiterin, sondern die
Leiterin der Flensburger Mordkommission und verantwortlich für die
Ermittlungen.«
»Bei uns heißt das Sachbearbeiter«, blieb der
Thüringer stur. »Die Kollegen haben am Wohnsitz der Gesuchten herumgestöbert
und die Nachbarn befragt. Viel wussten die nicht zu berichten. Da soll
gelegentlich ein Mann verkehrt haben, zu dessen Beschreibung es
widersprüchliche Angaben gibt. Meine Mitarbeiter sind aber mit zwei Bewohnern
des Hauses auf dem Weg ins Präsidium. Wir werden Phantomzeichnungen erstellen
und mit unserer Datei abgleichen.«
»Wie lange wird das dauern?«
»Nun aber sachte. Wir helfen Ihnen ja gern, aber
schneller als Einstein können wir auch nicht sein.«
Frauke Dobermann hatte ein »Danke« zwischen den Zähnen
hervorgepresst. Ihr dauerte alles zu lange.
Dann griff sie wieder zum Telefon, um Lüder Lüders
anzurufen.
*
Die abwechslungsreiche, maigrüne Landschaft flog nicht
am Fenster vorbei, sondern zog sich zäh neben der Autobahn her. Schuld daran
war ein Lkw, der sich schon seit zwei Kilometern vergeblich bemühte, einen
anderen Brummi auf der Autobahn zu überholen. Dahinter hatte sich notgedrungen
eine lange Schlange von Fahrzeugen gebildet.
Lüder war ungeduldig, weil der überholende Kapitän der
Landstraße keine Anstalten machte, den Überholversuch abzubrechen.
Wenn man mich fragen würde, schoss es ihm durch den
Kopf, dann dürften Lkws nicht mehr überholen. Dann müssten … Er verwarf diese
Gedanken als unausgewogen. Sie entsprangen dem Wunsch, die Distanz zwischen
Kiel und Ahrensburg möglichst schnell zurückzulegen. Dort, in der
herausgeputzten Stadt im Speckgürtel rund um Hamburg, hatte die DEU Holsten Power GmbH ihren Sitz. Das
Unternehmen war die regionale Tochtergesellschaft der DEU Deutsche Energie Union AG aus Düsseldorf, die sich mit weniger als einer Handvoll anderer Multis den
deutschen Strommarkt geteilt hatte.
Lüder hatte einen Termin mit dem Geschäftsführer der Tochter
Holsten Power vereinbart. Vielleicht war man dort über die vagen Planungen zum
Atomkraftwerk an der Schlei informiert. Jetzt blickte er sorgenvoll auf die Uhr
im Armaturenbrett. Wenn der Lkw weiter die Überholspur blockierte, würde der
vereinbarte Termin kaum einzuhalten sein.
Das Telefon unterbrach seine Gedanken.
»Dobermann«, vernahm er die Stimme der
Hauptkommissarin. »Ich habe ein paar Neuigkeiten für Sie.« Dann berichtete sie
von der ersten Spur, die zu Rotraud Kiesberger führen könnte. »Mit etwas Glück
bringt uns die Frau zum zweiten Täter«, schloss Frauke Dobermann optimistisch
ihren Bericht. »Wenn die Thüringer nur nicht so viel Zeit benötigen würden.«
Lüder musste lachen. Eben war er selbst noch voller
Ungeduld gewesen, jetzt hörte er, dass es der Flensburgerin nicht anders ging.
»Es ist immer wieder erstaunlich, welche Fehler die
Täter manchmal begehen, die uns auf ihre Spuren führen. Mit Sicherheit haben
die Entführer nicht an die Windel gedacht. Und wer versorgt ein kleines Kind
schon mit Handschuhen, um etwaige Spuren zu verwischen? Woher stammt die Frau?«
»Die letzte gemeldete Adresse ist Gera. Die Frau
selbst stammt aus Kölleda.«
»Nie gehört. Wo ist das?«
Frauke Dobermann erklärte es ihm.
»Ich lass das einmal unkommentiert«, sagte Lüder.
»Das ist auch besser so, allein wegen der Political
Correctness«, pflichtete ihm die Hauptkommissarin bei. »Sobald wir Neuigkeiten
haben, melde ich mich wieder. Was machen Sie übrigens gerade?«
Lüder berichtete, dass er auf
Weitere Kostenlose Bücher