Küstenfilz
Kind das Opfer war, berührte es die
Beamten in einer besonders tiefen Weise.
Jürgensen hielt
inne, als die Abbildung einer herkömmlichen Einmalwindel zu sehen war.
»Josh war gerade
zwei Jahre alt und noch nicht trocken. Merkwürdig ist, dass die Täter sich
offenbar in der Zeit der Entführung um das Wohlergehen des Kindes gekümmert
haben. Der Junge wurde zwar nicht professionell, aber doch so weit versorgt,
dass es keine Anzeichen von Wundsein oder gar Misshandlungen gab. Unsere
derzeit wichtigste Spur ist diese Windel. Sie ist innen mit saugfähigem
Zellstoff ausgekleidet und hat außen eine Kunststoffhülle. Und auf dieser haben
wir Fingerabdrücke sicherstellen können.«
»Das ist der erste
Fehler der Täter«, warf Holtgrebe ein und wurde für seinen Zwischenruf mit
einem bösen Blick der Hauptkommissarin abgestraft. Das hielt Mommsen aber nicht
davon ab, eine Frage zu stellen.
»Konnte der Abdruck
identifiziert werden?«
»Wir arbeiten hier
professionell, Herr Mommsen. Geben Sie dem Kollegen Jürgensen Gelegenheit,
seine Ausführungen abzuschließen. Dann haben wir Zeit für Verständnisfragen«,
wies ihn Frauke Dobermann zurecht.
Jürgensen räusperte
sich. »Wir hatten Glück. Der Abdruck ist uns tatsächlich bekannt. Es handelt
sich um Rotraud Kiesberger. Die Frau ist achtunddreißig Jahre alt und wegen
Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz vorbestraft. Sie stammt aus Kölleda im
Landkreis Sömmerda. Das liegt in Thüringen. Der letzte uns bekannte Wohnsitz
ist Gera, ebenfalls Thüringen. Wir haben bei der örtlichen Polizei ein Bild
angefordert, das uns aber noch nicht vorliegt.«
Erneut unterbrach
Mommsen. »Was liegt genau gegen die Frau vor?«
»Ich hatte Sie
gebeten, nicht zu unterbrechen. Das können Sie bei Ihrem Herrn Johannes in
Husum machen«, fuhr Frauke Dobermann dazwischen.
Aber Mommsen ließ
sich nicht irritieren. »Dort pflegen wir den konstruktiven Dialog.«
Bevor die
Hauptkommissarin antworten konnte, versuchte Klaus Jürgensen die Situation zu
entkrampfen. »Rotraud Kiesberger ist als Konsumentin von Betäubungsmitteln in
Erscheinung getreten. Außerdem war sie als Kurier für einen Verteilerring
tätig. Nach unserem jetzigen Wissensstand ist sie ohne Beschäftigung und
bezieht Arbeitslosengeld zwei, also Hartz IV ,
wie der Volksmund sagt.«
»Bevor wieder jemand
unterbricht«, fuhr Frauke Dobermann fort, »muss ich Ihnen leider mitteilen,
dass wir noch keine Erkenntnisse über den Umgang der Frau haben, über Freunde,
Bekannte, soziale Kontakte. Sie ist ledig, hat keine Kinder, und der örtlichen
Polizei sind keine partnerschaftlichen Beziehungen bekannt. Die Kollegen in
Sömmerda sind informiert und werden uns benachrichtigen, sobald sie Näheres
wissen. Ich werde Ihnen jetzt Ihre weiteren Aufgaben zuweisen.« Sie sah in die
Gesichter der Anwesenden und blieb zum Schluss bei Harm Mommsen hängen. »Sie
und Herr Holtgrebe kommen nach der Besprechung noch einmal zu mir«, ordnete sie
an.
*
Lüder besah sich seine Fingerkuppen. Er hatte den
Eindruck, sie beschmutzt zu haben, nachdem er in der Morgenausgabe der
Boulevardzeitung geblättert hatte.
»Türkischer Straßenfeger findet grässlich
zugerichtete Kinderleiche
An der Schlei haben Eltern Todesangst um ihre
Kinder.«
Allein das waren schon blutrünstige Lügen, die in
keiner Weise den Tatsachen entsprachen. Dann wurden fragwürdige Vermutungen
aufgestellt, die mit der Feststellung, dass die Ermittlungsbehörden eklatant
versagt hätten, schlossen.
Lüder konnte nicht verstehen, weshalb nicht alle
Journalisten ausgewogen und sachgerecht die Nachrichten vermitteln konnten.
Natürlich hatten auch andere Zeitungen über das Ereignis berichtet, sich aber
an die wenigen bisher veröffentlichten Tatsachen gehalten. Das traf auch auf
die Nachrichten im Radio zu, die Lüder gehört hatte.
Er stand auf und verließ sein Büro. Kurz darauf saß er
Nathusius gegenüber. Der Kriminaldirektor war wie immer akkurat gekleidet. Das
rosafarbene Hemd passte hervorragend zu dem braunen Anzug mit den dezenten
Streifen.
»Wir sprachen gestern darüber, dass es hilfreich wäre,
wenn wir ein Gespräch mit dem Minister führen könnten. Ich verspreche mir davon
Aufklärung über den Stand der Planungen und Erkenntnisse, wer offiziell in die
ganze Sache eingebunden ist. Vielleicht könnten wir dann den Kreis der
Beteiligten in zwei Gruppen gliedern: Die Personen, die formell um die Sache
wissen und daran arbeiten – oder auch nur
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