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Kultur 08: Der Algebraist

Kultur 08: Der Algebraist

Titel: Kultur 08: Der Algebraist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain Banks
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Dröhnen des Triebwerkschores ohnehin schwer zu führen
gewesen.
    - Ich möchte Sie schon seit einiger Zeit etwas
fragen.
    - Nämlich?
    - Es geht um das, wonach wir suchen sollen. Ich will nicht ins
Detail gehen, auch wenn wir uns über
Flüstersignale…
    - Nur weiter, Colonel, ermunterte sie Fassin.
    - Glauben Sie selbst an das, was Sie damals bei der Besprechung
auf Third Fury sagten?, fragte Hatherence. – Als
außer Ihnen nur Ganscerel, Yurnvic und ich zugegen waren.
Könnte alles, was Sie uns damals berichteten, wirklich wahr
sein?
    Die Lange Überfahrt, das legendäre ’Loch zwischen
den Galaxien, die Liste selbst. – Spielt das eine Rolle?, fragteer.
    - Es spielt immer eine Rolle, woran wir glauben.
    Fassin lächelte. – Ich möchte Sie etwas fragen.
Darf ich?
    - Unter der Bedingung, dass wir danach auf meine Frage
zurückkommen.
    - Glauben Sie an die ›Wahrheit‹?
    - In Anführungszeichen?
    - Und in Großbuchstaben.
    - Aber natürlich.
    ›Wahrheit‹ war der vollmundige Name einer Religion, des
Glaubenssystems, das hinter der Justitiarität, der Cessoria und
in gewissem Sinn sogar hinter der ganzen Merkatoria stand. Es war aus
der Überzeugung entstanden, das scheinbar wirkliche Leben sei
– beruhend auf statistischen Erkenntnissen, die mit frommem
Eifer beschworen wurden – eine Simulation innerhalb eines
ungeheuren numerischen Substrats in einer größeren und
umfassenderen Jenseitswirklichkeit. Der Gedanke spukte in irgendeiner
Form in den Köpfen der meisten Wesen und aller Zivilisationen
herum. (Die Dweller bildeten interessanterweise eine Ausnahme oder
behaupteten es jedenfalls. Was einige Gruppen wiederum veranlasste,
ihnen den Status einer Zivilisation gänzlich abzusprechen.) Aber
früher oder später ließ sich alle – oder
wenigstens fast alle – Welt zu der Einsicht bekehren, ein
Unterschied, der keinen Unterschied mache, brauche einen nicht weiter
zu kümmern, man könne sein (scheinbares) Leben auch einfach
weiterführen.
    Die ›Wahrheit‹ ging einen Schritt weiter und vertrat die
Ansicht, man könne erreichen, dass dieser Unterschied
einen Unterschied mache. Dazu sei erforderlich, dass die Leute in
ihrem Herzen, in ihrer Seele und mit ihrem Verstand fest daran
glaubten, Teil einer riesigen Simulation zu sein. Sie müssten
diese Überzeugung reflektieren, müssten sie unentwegt im
Vordergrund ihres Bewusstseins halten, und müssten sich
gelegentlich versammeln, um diesem Glauben mit der gebührenden
Feierlichkeit und dem nötigen Ernst Ausdruck zu verleihen. Und
sie müssten missionieren, um möglichst jeden zu ihrer
Ansicht zu bekehren, denn – und darum ging es eigentlich –
wenn erst ein ausreichend großer Anteil der Angehörigen
einer Zivilisation erkenne, dass sie in einer Simulation lebten,
verlöre die Simulation für diejenigen, die sie erstellt
hatten, ihren Wert, und alles bräche zusammen.
    Wenn alle nur Teil eines riesigen Experiments wären, und die
Versuchsobjekte die Wahrheit errieten, dann hätte das Experiment
keinen Sinn mehr. Wären diese Objekte aber nur ein Spielzeug,
dann müssten sie dafür, dass sie das begriffen hatten,
Anerkennung und – vielleicht – sogar eine Belohnung
erhalten. Würden sie in irgendeiner Form auf die Probe gestellt,
dann wäre die Erkenntnis ein positives Ergebnis, das ebenfalls
eine Belohnung rechtfertigte. Sollten sie aber bestraft worden sein,
weil sie in jener größeren Welt ein Verbrechen begangen
hatten, dann müsste ihre Einsicht in die wahren Gegebenheiten
Anlass sein, sie in Gnaden wieder aufzunehmen.
    Wie groß der Anteil der Erleuchteten an der simulierten
Bevölkerung sein müsste, um alles zum Stillstand zu bringen
(vielleicht fünfzig Prozent, vielleicht viel weniger oder auch
viel mehr), wusste niemand, aber solange ihre Zahl noch wachse,
nähere sich das Universum der Epiphanie immer weiter an, und der
Augenblick der Erkenntnis könne jederzeit kommen.
    Die ›Wahrheit‹ bezeichnete sich mit einer gewissen
Berechtigung als die ultimative Religion, den endgültigen
Glauben, die letzte aller Kirchen. Sie sei das alles
übergreifende System, das alle anderen Konfessionen in einen
Kontext stellen, erklären und in sich aufnehmen könne.
Letztlich ließen sie sich alle als emergente Phänomene der
Simulation selbst begreifen und verwerfen. Das gelte in gewissem Sinn
auch für die ›Wahrheit‹ selbst, aber sie hätte
anders als die anderen auch dann noch etwas zu sagen, wenn dieser
gemeinsame Nenner aus der Gleichung

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