Kultur 08: Der Algebraist
Kenntnis –,
schmiegte sich in die weichen Lederpolster und streckte den linken
Arm über die Lehne zu Ilen Deste hinüber (die wieder die
Stirn ans Kanzeldach drückte und gebannt beobachtete, wie der
fast vollkommen ebene Sandboden unter ihnen vorbeiraste). Er
bemühte sich, zumindest unbekümmert, besser noch
gelangweilt zu wirken, obwohl er natürlich vor Angst fast umkam
und sich entsetzlich hilflos fühlte.
Sal und Taince waren das dynamische Duo in der Gruppe: Saluus, der
tollkühne Pilot, gut aussehend, dickköpfig, aber zweifellos
hoch begabt (und, dachte Fassin, einfach vom Glück
begünstigt), war der Erbe eines riesigen Wirtschaftsimperiums
und schämte sich nicht, der Sohn eines sagenhaft reichen,
skrupellosen Freibeuters zu sein. Fassin hatte ihm gleich im ersten
Jahr auf dem College das Etikett ›der Gierschlund‹
verpasst, einen Beinamen, den ihre gemeinsamen Freunde zunächst
nur hinter Sals Rücken verwendeten, bis der davon Wind bekam und
ihn prompt zu seinem persönlichen Markenzeichen machte. Und
Taince, die Copilotin, Navigatorin und hoch qualifizierte
Kommunikationsexpertin, spielte in der Gruppe von jeher die scharfe,
gut informierte Kritikerin (wobei Fassin sich selbst in der Rolle des sarkastischen, gut informierten Kritikers sah). Taince
Yarabokin, die Offiziersanwärterin, musste man jetzt wohl sagen.
Taince das Army-Girl – auch eine von Fassins Prägungen
– hatte auf dem College alle Kurse mit Bestnoten abgeschlossen
und dank der Reserveübungen, die sie in ihrer Freizeit, an
Wochenenden und im Urlaub abgeleistet hatte, bereits die Hälfte
der Ausbildung zum Offizier bei den Streitkräften der Navarchie
hinter sich gebracht, bevor sie nach Abschluss eines Kurzdiploms
für das letzte Jahr auf die Militärakademie
übergewechselt war. Dort war sie von der Musterung an auf der
Überholspur gefahren. Sie war mitten im Semester vom Ersten ins
Zweite Jahr gesprungen, und angeblich hatte man sie schon in diesem
unerhört frühen Stadium in die engere Wahl für eine
spätere Aufnahme in die Generalflotte genommen, jene die ganze
Galaxis überspannende militärische Supermacht, die
unmittelbar der Culmina unterstellt war. Mit anderen Worten, sie war
offenbar so fest auf militärische Ehren programmiert wie Sal auf
wirtschaftlichen Erfolg.
Beide hatten auch bereits ihr Heimatsystem verlassen. Sie waren
zum Portal des Ulubis-Systems an Sepektes Lagrange-Punkt L5 gereist
und von dort nach Zenerre und zum Komplex gesprungen, dem
Wurmlochnetz, das unter den winzigen Lichtern der Sonnen wie ein
schwarzer Spitzenschleier über der Galaxis lag. Saluus hatte
vergangenes Jahr in den großen Ferien mit seinem Vater eine
Bildungsreise durch die mittlere Galaxis unternommen. Sie hatten alle
wichtigen Sehenswürdigkeiten besucht, soweit sie zugänglich
waren, einige besonders ausgefallene Alien-Spezies kennen gelernt und
viele Andenken mitgebracht. Taince hatte nicht so viele Orte besucht,
aber weitere Strecken zurückgelegt. Sie war im Zuge ihrer
Spezialausbildung von der Navarchie zu militärischen
Übungen in verschiedene entlegene Stützpunkte geschickt
worden. Die zwei waren als Einzige in ihrem Jahrgang so weit
herumgekommen und bildeten daher eine kleine exotische Klasse
für sich.
Fassin hatte sich oft überlegt, dass es wahrscheinlich diesen
beiden zu verdanken wäre, wenn sein junges Leben ein tragisches
Ende fände, bevor er sich endgültig entschieden hätte,
was er damit anfangen wollte. (Als Seher ins Familienunternehmen
eintreten… Oder etwas ganz anderes?) Am ehesten, wenn jeder
wieder einmal versuchte, den anderen vor den nachsichtigen Augen
ihrer Freunde bei irgendeinem Husarenstück zu übertreffen
oder einfach rücksichtslos die bessere Schau abzuziehen.
Manchmal gelang es ihm, sich einzureden, der Tod könnte ihn
nicht allzu sehr schrecken. Er hätte bereits genug vom Leben,
von der Liebe, von all den Grobheiten und Dummheiten der Menschen und
der Realität gesehen, um einen jähen, grausamen Tod in
Jugend und Schönheit vorzuziehen, in körperlicher und
geistiger Frische, während er – wie es die älteren
Verwandten nicht müde wurden zu wiederholen – noch alles
vor sich hätte.
Bedauerlich wäre allerdings, wenn auch Ilen – die
herzzerreißend schöne Ilen, zart und blass, schamlos
blond, mit hervorragenden akademischen Leistungen, aber von einer
geradezu grotesken Schüchternheit und ohne jedes
Selbstbewusstsein – wenn auch sie in den Trümmern zugrunde
gehen müsste,
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