Kultur 08: Der Algebraist
verteilt, so dass der Eindruck
eines antiken Meeresschiffes entstand, nur dass es ein Schiff von so
absurder Größe und vor allem Länge nie gegeben hatte.
Der Rumpf war so gewaltig, dass er sich in der Ferne perspektivisch
verkürzte. Die Geschütze waren nicht statisch, sondern
bewegten sich rhythmisch in Wellen, als wollten sie von der Stelle
kommen, so dass ihre Rohre wirkungslos hin und her zappelten wie die
Ruder einer monströsen Riesen-Trireme oder wie die Beine eines
auf dem Rücken liegenden Tausendfüßlers.
Der rotbraune Affe saß wie üblich ganz in der
Nähe. Er hatte einen neuen Brustharnisch, rund und spiegelblank,
den er unverwandt betrachtete und von imaginären Stäubchen
säuberte. Manchmal hielt er ihn hoch, um zu sehen, wie sich das
Sonnenlicht darin spiegelte, oder er streckte ihn vor sich aus, um
sich darin zu bewundern.
»Text?«, fragte der alte Mann. »Auf einem
Fußboden-Display? Nein, tut mir Leid, daran habe ich keine
Erinnerung, jedenfalls nicht gespeichert. Wenn das Schiff noch
existierte, wenn ich noch darauf zugreifen könnte…« Er
machte ein trauriges Gesicht. Fassin warf einen Blick auf den
rotbraunen Affen, aber der wandte sich ab und versuchte zu
pfeifen.
»Vielleicht gelingt es mir, dir ein Bild zu übermitteln,
das ich aufgenommen habe«, sagte Fassin.
»Du hast ein Bild? Du warst auf dem Schiff?« Der Mann
sah ihn überrascht an.
Nach einigem Hin und Her – Fassin musste die Treppe
hinaufsteigen und durch die Tür in die normale Realität
zurückkehren, um die Verbindung herzustellen – konnte er
das Bild sichtbar machen. Der schlaksige Affe hielt seinen Harnisch
in die Höhe, und das Muster erschien auf der
Oberfläche.
»Ach, das?«, sagte der Greis und strich sich den
kurzen grauen Bart. »Das hat der Commander vor langer Zeit
einmal gefunden, als er noch das Kommando über ein kleineres
Schiff hatte. Eine Übersetzung ins Alte Standard. Ich glaube, es
sind die letzten Worte eines Monstrums, einer KI.«
»Was heißt es?«, fragte Fassin.
»Da steht: Ich wurde in einem Wassermond geboren, der
bisweilen, insbesondere von seinen Bewohnern, auch als Planet
bezeichnet wurde. Aber bei einem Durchmesser von kaum mehr als
zweihundert Kilometern halte ich den Begriff ›Mond‹
für zutreffender. Dieser Mond bestand ausschließlich aus
Wasser, das heißt, er war eine Kugel nicht nur ohne Land,
sondern auch ohne einen Felskern, eine Sphäre ohne festes
Zentrum, nur flüssiges Wasser bis ganz ins Innere.
Wäre der Mond größer gewesen, dann hätte er
einen Eiskern gehabt, denn Wasser ist zwar angeblich nicht
komprimierbar, aber das gilt nicht uneingeschränkt, und unter
extremem Druck verwandelt es sich in Eis. (Das mag einem seltsam oder
sogar widernatürlich erscheinen, wenn man auf einem Planeten
lebt, wo das Eis auf dem Wasser schwimmt, dennoch verhält es
sich so.) Dieser Mond war für die Entstehung eines Eiskerns
etwas zu klein, und deshalb konnte man, wenn man die nötige
Kühnheit besaß und ausreichend gegen den Druck des Wasser
geschützt war, der mit zunehmender Tiefe immer höher wurde,
bis ins Zentrum des Mondes vordringen.
Und dort passierte etwas Seltsames.
Denn im innersten Zentrum dieser Wasserkugel schien es keine
Schwerkraft zu geben. Natürlich herrschte ein gewaltiger Druck
von allen Seiten, aber im Grunde war man schwerelos. (Von der
Oberfläche eines Planeten, eines Mondes oder eines anderen
Himmelskörpers, ob Wasserwelt oder nicht, wird man immer zum
Zentrum gezogen; ist man erst dort, dann wirken die Zugkräfte
gleich stark nach allen Richtungen.) Deshalb war auch der Druck von
außen nicht ganz so hoch, wie man nach den Wassermassen, aus
denen der Mond bestand, eigentlich erwartet hätte.
Das war natürlich…«
An dieser Stelle bricht der Text ab.
Fassin überlegte. »Woher stammt er?«
»Er wurde von einem der Anathematen, die Commander Inialcah
aufspürte und tötete, als eine Art Mantra zur
Speicherlöschung verwendet, um den früheren Inhalt seines
Datenspeichers restlos zu eliminieren. Die betreffende KI war, wie
sich später herausstellte, ebenfalls auf der Suche nach der so
genannten Transformation. Dieser Umstand hatte ursprünglich das
Interesse des Commanders geweckt. Er ließ das Mantra
übersetzen und bewahrte es auf wie einen Talisman, aber
vermutlich glaubte er, der Text, mit dem die AI ihren Speicher
überschrieben hatte, hätte irgendeinen verborgenen Sinn,
und es könnte sich als nützlich erweisen, ihn
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