Kultur 08: Der Algebraist
in der Ruine des Alien-Schiffs und lehnte mit dem
Rücken an der Wand des schwach erleuchteten Fliegers. Taince war
zum Riss gegangen, um zu sehen, ob ihr Funkgerät Empfang hatte.
Verdammt, das waren tatsächlich Schreie, irgendwo hinter ihm.
Oder vielleicht Hilferufe? Er kam auf die Beine, schaute sich um.
Nicht viel zu sehen; nur schwache Umrisse der bizarren, von
Zerstörung und Zusammenbruch geformten Landschaft im Innern des
Schiffswracks, schiefe Decks und Schotts und die gewaltigen Streifen
aus irgendeinem unbekannten Material, die von der fernen, im Dunkeln
nicht zu erkennenden Decke hingen. Die Schreie kamen aus dem Innern
des Wracks, aus der Richtung, in die Saluus und Ilen gegangen waren.
Er starrte in die Finsternis und hielt den Atem an, um besser
hören zu können. Jähe Stille, dann vielleicht eine
Stimme – Sals Stimme, aber die Worte waren zu undeutlich. Hilfe?
Taince? Fass?
Was soll ich tun? Ihm entgegenlaufen? Auf Taince warten? Nach
einer zweiten Taschenlampe, einer zweiten Waffe suchen, falls es die
überhaupt gibt?
Ein Klirren hinter ihm. Er fuhr herum.
Taince sprang mit einem Riesensatz von einer Stufe in der
eingedrückten Wand zu Boden. »Alles klar?«
»Ja, aber…«
»Komm mit! Aber bleib ein paar Schritte hinter mir. Sag
Bescheid, wenn du nicht mithalten kannst.« Sie lief langsam, mit
einer Hand die Waffe in die Höhe haltend, an ihm vorbei. An das
grimmige Lächeln auf ihrem Gesicht sollte sich Fassin erst
später erinnern.
Sie rannten den flachen Hang hinauf und tiefer in das Schiff
hinein. Der Boden unter ihren Füßen wurde immer welliger,
bis sie schließlich von Grat zu Grat springen mussten. Endlich
ließen sie sich durch einen Riss nach unten fallen, liefen
über eine leicht ansteigende, halb elastische Oberfläche,
die sich anfühlte wie Eisen mit dünner Gummiauflage, und
flankten über dicke Trossen, die in Hüfthöhe wie ein
unregelmäßiges Netz über den ganzen Raum gespannt
waren. Fassin folgte Taince, so gut er konnte. Die Leuchtstreifen an
ihrem Overall wiesen ihm den Weg. Obwohl sie in einer Hand die
Pistole hielt, lief und sprang sie fließender als er, der beide
Arme frei hatte. Der Boden stieg steiler an, dann ging es
abwärts.
»Taince! Fassin!«, rief Sal irgendwo von vorne.
»Kopf runter!«, brüllte Taince, die plötzlich
wie ein Taschenmesser zusammengeklappt war.
Fassin reagierte gerade noch rechtzeitig; nur sein Haar streifte
die harte tintenschwarze Kante über sich. Sie wurden langsamer,
Taince tastete sich mit einer Hand an der dunklen Decke entlang und
schlüpfte seitlich durch einen schmalen Spalt.
Fassin folgte ihr. Die kalten, seelenlosen Wände zu beiden
Seiten schienen ihn zu erdrücken.
Von vorne fiel schwaches Licht auf den verwirrend schrägen
Boden und das Durcheinander aus Trägern und Röhren, das die
Decke bildete. Spitze Zacken wie Stalaktiten und Stalagmiten,
dünne herabhängende Kabel, eine rote Masse, die nach unten
explodiert und in Form einer riesigen umgedrehten Blüte erstarrt
war. Und da, auf einem schmalen Sims vor einem gezackten, etwa
dreieckigen Loch im Boden von vielleicht zwei Metern Durchmesser, im
Schein der Reflektoren auf seiner Jacke in die Tiefe starrend,
kauerte Sal.
Nun blickte er auf. »Len!«, rief er. »Sie ist
hinuntergestürzt.«
»Sal«, fragte Taince scharf. »Ist der Untergrund
stabil?«
Er schien verwirrt, verängstigt. »Denke schon.«
Taince testete den Boden mit einem Fuß, dann kniete sie an
einer Spitze des Dreiecks nieder. Fassin bedeutete sie
zurückzubleiben. Sie legte sich auf den Bauch und steckte den
Kopf in das Loch. Dann murmelte sie etwas von verstärkten Kanten
und schickte Fassin mit einer Handbewegung an die Seite
gegenüber von Saluus. Dort war mehr Platz. Er streckte sich auf
dem Boden aus und schaute in die Tiefe.
Unter dem Dreieck öffnete sich eine dunkle Höhle. Ganz
schwach blinkten scharfe Kanten herauf; stufige Gebilde, die wie
riesige Kühlflossen aussahen. Fassin schwirrte der Kopf, als ihm
aufging, wie viel von dem Schiffswrack sich noch unter ihnen befand.
Er versuchte sich zu erinnern, wie weit der Flieger vor dem Eintritt
in das Riesenschiff vom Wüstenboden aufgestiegen war. Wie hoch
waren sie gewesen? Hundert Meter? Etwas weniger? Und auf dem Weg vom
Flieger hierher waren sie fast nur aufwärts gegangen.
Ilen lag etwa sechs Meter unter ihm. Sie hatte sich an zwei
armdicken Vorsprüngen verfangen, die wie nach oben gewölbte
Stoßzähne aus dem nächsten
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