Kurier
alles
möglich.
»Hören Sie!« Grau gestikulierte abwehrend mit beiden
Händen. »Diese Art von Journalismus …«
»Himmel, Arsch und Zwirn!«, schrie MeckeM. »Es interessiert
unsere Leser einen Dreck, ob Ihr Seelchen diese Art von Journalismus mag oder
nicht. Die Leute wollen Bilder sehen. Jetzt sehen sie die bei der Konkurrenz!«
»Heißt das, dass Sie mich entlassen?«, fragte Grau ganz
sanft. Er flehte Gott an, oder wen auch immer, dass genau dies passieren möge.
»O nein.« Meckem konnte zwei einsilbige Wörter zusammenziehen
und dabei seinen Tonfall von dem heller Wut in den sabbernder Gefälligkeit
verändern. »O nein, ich entlasse Sie nicht, ich entbinde Sie nur von Ihren
Recherchen und setze Sie auf die Karnickelzüchtervereine Bonns an. Damit Sie
endlich begreifen, worauf es in dieser Branche wirklich ankommt!«
»Woher wissen Sie denn, worauf es in dieser Branche wirklich
ankommt?« Grau fand seine eigene Bemerkung im gleichen Atemzug dümmlich.
Meckem seufzte: »Es kommt darauf an, besser zu sein als
die Konkurrenz. Und Sie haben genau das versiebt.«
»Ich werde es das nächste Mal auch versieben«, versprach
Grau störrisch. Er hockte auf dem Stuhl wie jemand, der seinem Zahnarzt Mut
machen muss, endlich den faulen Zahn zu ziehen.
Meckem stand merkwürdig zurückgebogen, als glaubte er
nicht so recht an seine eigene Kraft. Sein Kopf war hochrot, violette Flecken
glühten an beiden Seiten der Nase. Zum Jeanshemd trug er einen grellgrünen
Lederschlips. Grau fand, dass er verdammte Ähnlichkeit mit einem wütenden
Papagei hatte.
»Hören Sie mal zu, mein lieber Jobst.« Meckem langte
hinter sich, richtete seinen Stuhl wieder ordnungsgemäß vor dem Schreibtisch
auf und setzte sich betulich hin. Damit pflegte er anzudeuten, dass er etwas
Grundsätzliches zu sagen hatte. »Hören Sie zu, mein lieber Jobst. Sie sind seit
zwanzig Jahren in diesem Beruf. Gelten als guter Mann. Sie haben eine Story aufgetan:
In einem Altenheim wird eine alte Frau von einer brutalen Pflegerin zu Tode
gefüttert und erstickt. Ihr Auftrag war, vom Mann dieser Frau private Bilder zu
besorgen, die diese tote alte Frau lebendig, lachend und glücklich zeigen.
Versaut haben Sie es, weil …«
»Der alte Mann hat zwei Stunden nur geweint«, unterbrach
Grau scharf. »Ich musste ihm sagen, dass es wahrscheinlich Totschlag ist, ich musste
ihn trösten, ich konnte ihm nicht gleichzeitig das Fotoalbum klauen. Meine Würde …«
»Ihre Würde ist mir und den Lesern scheißegal«, schnappte
Meckem, ganz ein großer Mann, ein großer bunter Papagei. »Während Sie edel mit
dem Alten trauern, geht die Konkurrenz hin und luchst der Tochter die Fotos
ab!«
Grau nickte. Er starrte auf den Topf mit Papyrus, den irgendjemand
optimistisch und diskret in eine Ecke gestellt hatte. »Diese Form von
Journalismus finde ich beschissen.«
Meckem sagte müde: »Dann sind Sie hier bei uns falsch.«
»Stimmt. Wenn man hier Sachverstand wie Diebstahl buchstabiert,
dürfte diese Redaktion meinen Anforderungen nicht genügen.« Nun kündige mir
doch endlich!, dachte Grau heiter.
»Geh heim, Junge«, sagte Meckem leise und sorgenvoll.
»Geh nach Hause, ruh dich aus, beschimpf mich ein paar Stunden im Geiste und
schlaf. Dann machst du Ferien. Du kommst wieder und wir reden noch mal.«
»Leck mich doch am Arsch!« Erbost verließ Grau das
Zimmer.
Er war ein dünner, mittelgroßer Mann mit kurzem, grauem
Haar und einigen scharfen Falten um Nase und Mund. Er hatte Jeans zu
knöchelhohen weißen Baseballschuhen an, ein weißes Hemd, ein mattgraues dünnes
Jackett. Er weigerte sich beharrlich, Krawatten zu tragen. Er ging leicht gebeugt,
bewegte sich langsam, fast schläfrig, und machte meist den Eindruck, als wäre
er geistesabwesend, nicht wirklich interessiert, ein Tagträumer.
Grau blieb in dem langen Korridor vor Meckems Zimmertür
stehen und stopfte sich eine Pfeife. Er wirkte fehl am Platz: ein Fremder im
falschen Haus, im falschen Flur, vor dem falschen Zimmer.
Es war elf Uhr vormittags. Wenn er jetzt nach Hause ging,
würde er Angie ausgeliefert sein, die heute Morgen laut gejammert hatte, ihre
Blusen wären bei der Wäsche nicht weiß genug geworden – jedenfalls nicht weiß
genug für Teneriffa. Seit Tagen nahm er sie nur als schmale herumwerkelnde
Gestalt wahr, die Wäschestücke ins grelle Tageslicht hielt und bekümmert
feststellte: »Da sind noch Schatten!« Wie konnte eine Frau, die Angela hieß,
darauf
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