Kurpfalzblues
Flusses.
Die kleine Lea im weißen Kleid unter dem Kirschbaum, eine Puppe
auf dem Arm, ein Käfer auf einem Blatt, grüngolden schillernd. Der Vater, am
Esstisch, eine halb volle Flasche auf der karierten Tischdecke. Die Mutter, die
den Kopf zur Zimmertür hereinsteckt. Was machst du, Lea? Träumst du wieder?
*
Es gab so einiges, was Hauptkommissarin Maria Mooser in ihrem Leben
lieber nicht gesehen hätte. Die Leiche dieser jungen Frau gehörte ganz sicher
mit dazu.
Sie lag auf dem schmalen Weg am Neckarufer, wo Schlammspuren von
einer hastigen, aber leider erfolglosen Rettungsaktion zeugten. Die Kleidung
klebte auf ihrem schlanken Körper wie eine zweite Haut. Sie hatte ein
ausnehmend hübsches, fast noch kindlich wirkendes Gesicht.
Ein ganz klein wenig erinnerte Maria die Tote an ihre Tochter Vera,
wenn sie früher nach langem Rufen endlich mit blau gefrorenen Lippen aus dem
Badeweiher kam.
Je jünger und unschuldiger ein Mordopfer aussah, umso schwieriger
war es, nicht einfach dazustehen und in dumpfes Brüten darüber zu verfallen,
wie schlecht die Welt war. Das wusste sie nach über dreißig Jahren bei der
Kripo nur zu gut. Trotzdem, sie konnte es ihrem Assistenten nicht durchgehen
lassen.
»Alsberger, ich kann sehen, dass Sie die Augen zu haben.«
Er stand mit gesenktem Kopf neben ihr, sodass es für alle anderen
wohl so aussehen musste, als würde er interessiert auf den Leichnam starren.
»Machen Sie die Augen auf und schauen Sie hin, sonst rede ich so
laut, dass alle mitbekommen, was wir beide hier besprechen.«
Alsberger schluckte, dann öffnete er die Augen. Mit seinem hellen
Mantel und seinem grünlich bleichen Gesicht sah er aus wie ein großes Gespenst.
»Beschreiben Sie mir, was Sie sehen. Ganz neutral und sachlich. Wie
früher in der Schule. Bildbeschreibung, das kennen Sie doch, oder?«
Es hatte keinen Zweck, wenn sie ihn schonte. Er musste endlich
lernen, ein Mordopfer anzuschauen, ohne gleich in Ohnmacht zu fallen.
Alsberger starrte eine Weile nach unten, auf die Schuhe der Toten,
räusperte sich noch zweimal, bevor er zögernd begann.
»Eine junge Frau … schätzungsweise Anfang zwanzig, blaugrüne Augen,
ovale Gesichtsform, circa eins fünfundsiebzig groß. Bekleidet mit Turnschuhen,
schwarzer Jogginghose und einem roten T-Shirt. Es ist alles nass. Ihr Gesicht
…«, er schluckte noch einmal, »ihr Gesicht ist gräulich blau angelaufen, der
Mund steht offen, und die Augen … die Augen sind weit aufgerissen.«
»Und woran können wir erkennen, dass die junge Dame nicht freiwillig
im Wasser gelandet ist?«
»Die Kordel, am rechten Handgelenk. Die Kordel, mit der sie an dem
Ast festgebunden war, der dahinten ins Wasser hängt.«
Alsberger schaute zum Ufer, wo die Äste der Bäume so tief hingen,
dass sie an manchen Stellen schon in den Fluss hineinragten.
»Das hätte sie zur Not auch noch selbst hinbekommen. Was nicht?«
»Also Raubmord war es nicht«, war Alsbergers Antwort. »Sie hatte ja
Geld in den Hosentaschen. Das können wir wohl ausschließen.«
»Das habe ich nicht gefragt! Was erzählt uns diese Leiche noch? Die
Male an ihrem Nacken, Alsberger! Nun gehen Sie mal was näher ran.«
Widerstrebend blickte er erneut zur Toten hinunter. Er hatte sich
noch keine fünf Zentimeter nach vorn bewegt, als hinter ihnen lautes Geschrei
ertönte.
»Ich warne euch. Wehe, ihr tretet über die Absperrung! Wehe! Hier
ist schon genug rumgetrampelt worden!«
Es war Jantzek, der Leiter der Spurensicherung, der mit hochrotem
Kopf in einigen Metern Entfernung stand. Er war in einen weißen Schutzanzug
eingehüllt, so wie seine Mitarbeiter, die dabei waren, das Gelände abzusuchen.
Jantzek hatte einen schmalen Streifen des Weges abstecken lassen,
auf dem alle anderen sich zu bewegen hatten, um bloß keine Spuren zu zerstören
oder gar ein paar eigene zu hinterlassen.
Jantzek hatte sich auch schon ausgiebig vor dem verstörten älteren
Herrn, der die junge Frau aus dem Wasser gezogen hatte, über Zeugen
ausgelassen, die, statt direkt die Polizei zu rufen, mit völlig sinnlosen
Rettungsaktionen nur alles zertrampelten.
Maria hatte den eingeschüchterten Mann schließlich beiseitegenommen
und ihm aufgetragen, sich – in ausreichendem Sicherheitsabstand zu Jantzek –
ans Ufer zu setzen und nicht vom Fleck zu rühren, bis sie wiederkam.
»Kein Schritt daneben! Verstanden?«, brüllte Jantzek ihnen noch
einmal zu.
»Genau. Nicht dass wir hier noch irgendwelche Spuren
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