Kurs Minosmond
Auge gehabt, ob aus dem Bläschen eine Katastrophe hervorgehen kann oder nicht und wie man sich dagegen schützen kann und ob man’s kann. Seht ihr denn nicht, daß jetzt etwas ganz anderes herausgekommen ist? Die Katastrophe steckt nicht im Bläschen, die Katastrophe steckt in uns! Wie schützen wir uns und die Welt vor uns selber?“
Nach einer Weile unerbaulichen Schweigens fügte er leise hinzu: „Aber ich bin Optimist. Wenn wir die Möglichkeit zur Katastrophe in uns haben, dann haben wir auch die Möglichkeit zu ihrer Fesselung, zur Ordnung.“
8
Zum erstenmal im Leben teilte Wenzel Kramer seine Zeit zwischen zwei Frauen auf. Die Nächte gehörten Sibylle Mohr, und wenigstens die drei ersten davon waren maßlos, oder richtiger, waren bestimmt, in der Unendlichkeit des Gefühls Maß und Rhythmus zu finden.
Die Tage aber gehörten Pauline. Sie führte ihm die Dinge vor, deren Computeradressen sie vorher ermittelt und bereitgestellt hatte, die Materialien von der EGI und andere Informationen; und sie machte ihn mit Ruben bekannt, mit dem er sich stundenlang unterhielt.
Schon nach fünf Minuten hatte Wenzel vergessen, was ihn zuerst an diesem Ruben interessiert hatte, nämlich wieso gerade er der Mann war, dem sich Pauline bedingungslos zuordnete. Er ließ sich über die Esther berichten und die Venus und den Mars, sprach später auch über Funk mit den Takarorus auf dem Mars und Sheila McPherson auf der Venus.
Eigentlich war Wenzel spätestens nach der Unterhaltung mit Ruben klar, was Pauline ihm nicht hatte sagen wollen, weil er von selbst daraufkommen sollte. Fast überdeutlich zeichneten sich für ihn die Zusammenhänge ab, jetzt, da sie sich durch die Frage nach dem Ziel und das Angebot eines solchen Ziels zu einem großen Strom ordneten. Hatte er nicht von den ersten Tagen an immer das Gefühl gehabt, es habe etwas auf sich mit diesem Fensteraufreißen, im übertragenen Sinn? Und er hatte doch mit diesem Gefühl nichts anfangen können, bis er nun endlich begriff, daß es nicht darum ging, ein Fenster, sondern eine Tür aufzureißen, und nicht nur darum, sie aufzureißen, sondern auch durch sie zu gehen, hinaus ins All.
Mit diesem Ziel war auch alles andere klargeworden.
Aber Wenzel mißtraute dieser Klarheit, die sich ihm aufdrängte. Hatte ihm Pauline nicht die Tatsachen und die gedanklichen Motive allzu säuberlich geordnet und in der richtigen Reihenfolge vorgelegt, angefangen bei dem Historiker bis hin zu Venus und Mars? Und um diese Befürchtung weiterzuführen: Befanden sie sich nicht beide in einem Zustand, in dem Gedanken sich leicht zu Figuren ordnen, wenn diese Figuren nur der Seele gefallen? Um es deutlich zu sagen: in einem Glücksrausch?
Für sich wollte Wenzel diese Frage nicht entscheiden, aber wenn er Pauline betrachtete, kam es ihm vor, als sei dieses Urteil zu oberflächlich. Er und andere hatten es nicht geschafft, ihr etwas zu geben, was sie über den Alltag hinausführte und ihre Persönlichkeit dazu brachte, sich zu entfalten – diesem Ruben war es gelungen, das war zu sehen, und Entfaltung aller Talente und Fähigkeiten ist doch gewiß etwas anderes als Rausch, mag sie auch berauschend sein. Und vielleicht durfte er diesen Gedanken auch für sich in Anspruch nehmen? Dann aber war der wortarme und mühelos geistige Kontakt zwischen ihm und Pauline, das plötzliche Hervortreten großräumiger Zusammenhänge, das eher einem fröhlichen Spiel ähnelte als geistiger Arbeit – dann war das alles eine Kraft, die zu nutzen rechtens und notwendig war. Ja, notwendig auch, denn die Zeit lief weiter, und die damit zusammenhängenden Sorgen nahm ihnen niemand ab.
Dennoch zögerte Wenzel noch drei Tage den Punkt hinaus, an dem er schließlich Pauline sagte: Du hast recht, ich denke genauso. Danach, im Beisein aller Freunde, die erreichbar waren, und in Konferenzschaltung mit denen, die nicht hiersein konnten, hielten sie eine Ideenkonferenz ab. Sie dauerte eine Stunde, dann war alles Wesentliche gesagt.
Und danach schrieb Wenzel den Brief an den Konrat, den Kontinentalratgeber. Er hatte sich dazu entschlossen, weil keine andere Möglichkeit mehr blieb. Aber er tat es nicht leichten Herzens. Normalerweise hätte er sich bis zum Verfassen eines solchen Briefes noch ein Jahr Zeit genommen. Die hatte er nicht. Und so arbeitete er nicht nur seine Erkenntnisse, sondern auch seine Zweifel in den Text mit ein. Der aber hatte folgenden Wortlaut:
An den Ratgeber des Kontinents Europa
Fjodor
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