Kurs Minosmond
entdeckten, daß wir nur noch unsere Vergangenheit gemeinsam hatten. Deshalb reden wir auch durchaus noch über Persönliches, wenn wir uns begegnen, und daher weiß ich, daß er zu der gleichen Meinung gelangt ist.
Mit Ernst fing das Leben an. Ich habe in dem einen Jahr eine Gefühlswelt ausgemessen, gegen die die fünfzig vorangegangenen Jahre eine armselige Wüste waren. Erwarten Sie bitte nicht, daß ich das jetzt näher bezeichne und mit Worten belege – das kann ich nicht. Wenn ich eins hervorhöbe – beispielsweise unser sexuelles Glück –, würde ich hundert andere Relationen herunterspielen, die ebenso wichtig waren. Erlassen Sie mir also eine psychologische Analyse. Aber wir wollen ja auch mehr von Ernst reden als von mir. Sie wissen, was Plato den Sokrates erzählen läßt über die Entstehung der Liebe? Uns schien es immer, als seien wir die vor Urzeiten von den Göttern getrennten zwei Teile eines einheitlichen Menschen, die endlich zueinander gefunden haben.
Bei Ernst mag übrigens die Sexualität eine größere Rolle gespielt haben als bei mir, denn er hatte in dieser Beziehung nicht viel wirkliches Glück kennengelernt. Als Schauspieler war ihm das wohl einerseits nützlich gewesen; ein Kritiker hatte einmal in seltener Hellsichtigkeit geschrieben, daß sein Spiel eine in Energie umgesetzte Erotik ausstrahle, und Ernst hatte hinzugefügt, weil sie nicht in Sex umgewandelt wurde. Aber im letzten Lebensjahrzehnt hatte er selbst bemerkt, daß sein innerer Reifeprozeß gebremst wurde, und er wurde auch nie mit seiner Traumrolle besetzt, dem Hamlet – erst jetzt. Nun ist er nicht mehr dazu gekommen, ihn zu spielen. Er war übrigens im Kostüm, als ich ihn fand.“
„Sie haben ihn gefunden?“ fragte Pauline. „Bitte erzählen Sie das genauer, ich meine, den ganzen Tag, den Vortag vielleicht auch, oder was in der Woche zuvor an Wichtigem geschehen ist.“ *
„Geschehen ist sonst nichts“, sagte Elsbetha nachdenklich, „wenigstens äußerlich. Er hat viel am Hamlet gearbeitet. Vormittags war es, da hab ich plötzlich gespürt, daß mit ihm etwas geschehen ist. Ich bin sofort hingelaufen und…, und… da lag er.“ Sie zeigte zum Fenster.
Pauline fühlte, daß sie jetzt ganz dicht an den Punkt herangekommen waren, wo all dieses Normale hier in etwas absolut Unnormales umschlagen, wo sich in irgendeiner Art Dr. Hasgrubers Meinung bestätigen würde; es lag soviel Spannung im Zimmer, obwohl die Frau ganz ruhig schien. Ein bißchen fürchtete Pauline, jetzt etwas Falsches zu sagen oder zu fragen, und sie war froh, als die Holographikerin weitersprach.
„Er ist übrigens an einer bestimmten Textstelle gestorben“, sagte sie, „falls das für Ihre Untersuchungen von Bedeutung ist.“
„Sein oder Nichtsein?“ fragte Pauline schnell, es war das erste, was ihr einfiel.
„Nein, eine andere: Ein schöner Gedanke, zwischen den Beinen eines Mädchens zu liegen.“
„Woher wissen Sie das?“
„Ich hab es gehört. Sie müssen sich nicht wundern, ich hab öfter gewußt, was er sagt und denkt, auch wenn ich ganz weit weg war. Wir haben es hinterher verglichen, es stimmte. Dieses eine Mal – konnten wir hinterher nicht mehr…“ Sie schluchzte nicht auf, sie blieb nur stumm und sah wieder an Pauline vorbei. „Telepathie nennt man das wohl“, fügte sie müde hinzu.
Diesmal sollte Ruben an der EGI teilnehmen und Esther den Außenseiter machen. Sie hatten es schon seit langem so verabredet, aber jetzt kam noch hinzu, daß der Außenseiter eine neue, verantwortungsvolle Aufgabe bekommen hatte: die EGI von außen abzubrechen, falls eine Situation einträte wie kürzlich vor der psychischen Implosion. Die Psychologen hatten eine Methode dazu ausgearbeitet, doch sicher war natürlich niemand, daß sie auch richtig funktionierte. Auf jeden Fall war es also das beste, wenn der Erfahrenste die Außenseiterposition einnahm, wenigstens so lange, bis auch dieser neue Teil der EGI gesichert war.
O ja, Ruben war aufgeregt. Immerhin war es mehr als drei Jahre her, seit er an dieser Art Kollektivarbeit zum letztenmal teilgenommen hatte, und hinzu kam noch, daß die Erforschung des Bläschens mächtig in Gang gekommen war. Er hatte Mühe, sich in die gelassene, heiter-angeregte Stimmung zu versetzen, aus der man am leichtesten in die Ensemblebindung eintrat. Aber als Akito den Auftakt gab, fühlte er sich ohne Einschränkung bereit.
Die Aufgabe, Atmung und weitere Körperrhythmen mit den anderen zu
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