Kurs Minosmond
profitieren.“
Elsbetha Kilian suchte nach einem dünngewebten Schaltuch, das zu verschiedenen Kleidern passen sollte, die sie aber nicht bei sich hatte, was der Modistin gar nicht gefiel. Die bestand darauf, daß die Kundin sich wenigstens eine Stoffbahn der entsprechenden Farbe umschlang, damit man beurteilen konnte, wie das zusammen wirkte, und darüber verging ziemlich viel Zeit. Pauline blätterte unterdessen in einem ausliegenden örtlichen Programmbuch, in dem die künstlerischen Veranstaltungen des Quartals aufgeführt waren.
Endlich war aber doch Übereinstimmung erzielt, die Modistin reichte der Kundin einen Rohrpostbehälter, damit sie ihn auf ihre Wohnungsnummer programmierte, und dann verabschiedeten sie sich. Draußen sagte Elsbetha Kilian plötzlich erschrocken: „Jetzt hab ich ganz vergessen, daß Sie ja auch etwas wollten!“
„Ach, ich laß es lieber“, wehrte Pauline ab, „ich hab im Augenblick gar keine Übersicht, was ich alles für den Sommer im Schrank hängen habe, ich müßte das erst mal durchmustern. Sagen Sie, mir ist aufgefallen, im Programmbuch, das dort lag – wie oft spielt eigentlich ein Ensemble bei Ihnen?“
„Schwer zu sagen“, antwortete die Holographikerin. „Die Ensembles sind nicht streng getrennt. Es gibt fünf in unserem Stadtbezirk, doch manche Interpreten spielen auch bei zwei Ensembles mit, es ist manchmal schwierig mit dem Spielplan. Na ja, es kommen so ein bis zwei Veranstaltungen in der Woche heraus.“
„Wir haben acht Theatergruppen im Kreis, aber auch drei Bühnen zu bespielen. Da ist jedes Ensemble fast jeden zweiten Tag dran. Unserer Meinung nach ist das zuviel, da leidet die Kunst. Wir wollen darauf hinsteuern, daß wir noch zwei Ensembles zur Bühnenreife bringen, eins für Schauspiel und eins für Musikdramatik. Wenn wir Glück haben, ziehen wir noch ein paar Leute aus Berlin an uns, wir haben jetzt landschaftlich Interessantes zu bieten.“ Pauline lachte. „Solche technischen Raffinessen wie Ihre Holobilder haben wir freilich nicht.“
Sie betraten eins der alten Häuser aus der kapitalistischen Zeit, die schon so oft restauriert waren, ihres historischen Wertes wegen, daß außer dem – inzwischen verstärkten – Baukern nicht mehr viel Ursprüngliches geblieben war, ja eigentlich nur die abstrakte Aufteilung des umbauten Raums. Vier Treppen hoch lag die Wohnung, die ebenfalls das Schild „E. Kilian“ trug – nur daß E. hier Ernst bedeutete.
Elsbetha führte Pauline in das Studio, wie sie sagte. Eine Wand war mit Büchern vollgestellt, richtigen alten Büchern, wie man sie in dieser Menge sonst nur noch in Bibliotheken findet. Die andern Wände und die Decke waren mit Rupfen bespannt, auf dem Boden lag ein weicher anthrazitfarbener Plast, das Fenster hatte ein Zugrollo, keine Gardinen, ein Tisch und zwei Stühle bildeten die einzige Einrichtung. Über dem Bücherregal war indirekte Beleuchtung angebracht; Elsbetha schaltete sie ein, als sie das Studio betraten, und irgendwelche Meßfühler regelten das Licht so, daß der Raum gleichmäßig ausgeleuchtet war.
„Ernst war nur Schauspieler“, sagte die Holographikerin. Sie setzten sich und schwiegen. Pauline dachte daran, daß nun wohl bei ihrer Partnerin jene Selbstvorwürfe spürbar werden müßten, von denen Dr. Hasgruber gesprochen hatte. Oder sollte sie die inzwischen überwunden haben? Kaum, denn die Schwierigkeiten in ihrer Kunst zeugten doch eher von nicht bewältigten emotionalen Störungen.
„Am besten, ich erzähle Ihnen was“, sagte Elsbetha. „Ich erzähle Ihnen unser kurzes Leben, und warum es so herrlich war. Vielleicht erzähl ich zuviel, aber das ist Ihnen sicher lieber als zuwenig. Ernst und ich kannten uns ein Jahr lang intim, und ein halbes Jahr lang waren wir verheiratet. Meine erste Ehe war, sagen wir mal, normal und alltäglich. Wir waren durchaus überzeugt, daß wir uns liebten, hatten beide auch wenig Interesse an anderen Partnern, und wir hatten zum Glück beide keine Ahnung, daß uns Sympathie, Freundschaft, Kameradschaft, gemeinsames Elternglück, gegenseitige Fürsorge und alles, was Sie sich noch denken können, miteinander verband, nur eins nicht – Liebe. Ich hab normal gesagt, eigentlich sollte das unnormal sein, aber ich glaube, es ist weit verbreitet. Das ist übrigens nicht mein Urteil allein; meinem ehemaligen Mann ging es ebenso, nachdem wir uns in aller Freundschaft getrennt hatten, als die Kinder aus dem Haus waren und wir plötzlich
Weitere Kostenlose Bücher