Kurschattenerbe
Universität hätte Arthur es sich nicht leisten können, eine PR-Beraterin zu engagieren. Darüber hinaus hatte Kateryna sich äußerst umgänglich gezeigt. Obwohl Jenny nicht daran zweifelte, dass die schwerreiche Geschäftsfrau über eigene Berater verfügte, hatte diese ihr den Eindruck vermittelt, ihre Expertise zu schätzen. Wenn sie Wert auf ihren Rat legte, sollte sie ihn auch bekommen.
Jenny war zu der Ukrainerin und ihrer Tochter Sascha in den Wagen gestiegen. Sollte nicht auch Katerynas gutaussehender Manager hier sein? Jenny hatte die beiden in der Pause beobachtet, sie hatten sehr vertraut gewirkt.
Ehe sie sich nach dem Mann erkundigen konnte, setzte Kateryna zu einer Erklärung an: »Tony geht zu Fuß. Wir Frauen sind unter uns.« Verschwörerisch zwinkerte sie Jenny zu. In dem Moment öffnete Sascha die Wagentür. »Muss Klo. Fahren mit Victor und Juri.« Wie auf Kommando waren zwei breitschultrige Kerle mit kurzgeschorenem Haar neben dem Wagen aufgetaucht. Kateryna sagte ein paar Worte – in Ukrainisch, wie Jenny annahm. Sie fragte sich, ob die beiden Athleten der richtige Umgang für ein heranwachsendes Mädchen waren. Doch das war nicht ihre Angelegenheit.
Der Wagen hatte sich in Bewegung gesetzt. Kateryna ließ ihre Handtasche aus Krokoleder aufschnappen und beugte sich vor. Dabei fiel Jenny ein Medaillon auf, das am Dekolleté der Frau baumelte. Der Anhänger war eine ausgesprochen schöne Arbeit: Aus Gold gefertigt und mit Intarsien verziert wirkte der Schmuck edel und schlicht. Es musste sich um eine Antiquität handeln und passte gar nicht zu Katerynas sonst eher protzigem Stil.
»Ein sehr schönes Medaillon, das Sie da tragen.«
Kateryna schien sich darüber zu freuen. Wie andächtig legte sie die Hand auf das Schmuckstück und lächelte. »Ich habe es von meiner Urgroßmutter.« Einen Moment verweilte sie mit ihrer Hand auf der Halskette. Dann fasste sie in ihre Handtasche und entnahm ihr ein paar computerbeschriebene Seiten, die mit handschriftlichen Vermerken übersät waren.
Bevor Jenny sich in die Unterlagen vertiefte, warf sie rasch einen Blick durch die Heckscheibe. Lenz stand vor dem Burgtor. Neben ihm erkannte sie Viola, die seinen Arm ergriff.
Jenny war bei der Postbrücke angelangt. Wie die zahlreichen prachtvollen Villen der Stadt erinnerte auch dieses Jugendstilbauwerk an Merans glanzvolle Zeiten, die mit dem Ersten Weltkrieg ein jähes Ende gefunden hatten. Auf der gegenüberliegenden Seite der Passer befand sich das Kurhaus, ein Relikt aus der Vorkriegszeit. Damen mit ausladenden Hüten und Herren im Gehrock waren die Promenaden entlanggeschritten und auf den Spuren der österreichischen Kaiserin Elisabeth gewandelt, die in der Stadt an der Passer zur Kur gewesen war. Sissi-Weg, Sissi-Denkmal und der Kaiserin-Elisabeth-Park erinnerten an den royalen Gast.
Mit einer energischen Handbewegung verscheuchte Jenny die Melancholie, die beim Gedanken an Merans vergangene Epoche von ihr Besitz ergriffen hatte. Um die Kurstadt musste man sich keine Sorgen machen. Meran war wiederholt in einen Dornröschenschlaf verfallen und daraus bisher jedes Mal in neuer Blüte hervorgegangen.
Beim Überqueren der Postbrücke fielen Jenny zwei Kanufahrer auf, die im Fluss mit der Strömung kämpften. Wild schwangen ihre Paddel in den Fluten, immer wieder drohten die winzigen Boote zu kentern. Mit deren Insassen würde sie um keinen Preis tauschen wollen. Wasser war absolut nicht ihr Element. Jenny wandte sich von den beiden Gestalten in ihren bunten Neoprenanzügen ab und setzte ihren Weg fort.
*
In dem nach dem Architekten des Meraner Kurhauses benannten Ohmann-Saal saß Maurice Jungmann und rückte den Knoten seiner Krawatte zurecht. Heute hatte er sich für ein kräftiges Magentarot entschieden, das dem taubenblauen Zweireiher eine geradezu verwegene Note gab. Ihm gegenüber saß Beppo Pircher.
Der Reporter hatte den Professor gestern Abend um ein Exklusivinterview gebeten. Maurice hatte ihn zunächst auf die Pressekonferenz verwiesen. Doch der Journalist blieb hartnäckig. Er wollte mit ihm über sein neues Buch reden, das demnächst erscheinen sollte. Schließlich hatte Maurice dem Drängen des Mannes nachgegeben und ihn für heute Morgen ins Kurhaus gebeten. Anschließend würde der Professor gemeinsam mit Arthur und Kateryna die Pressekonferenz zum Auftakt des Symposiums bestreiten.
»Ihr vorheriges Buch war nicht mehr so erfolgreich. Wie erklären Sie sich diesen Flop?«
Maurice
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