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Kurschattenerbe

Kurschattenerbe

Titel: Kurschattenerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Neureiter
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verbinden und möglichst viel Südtiroler Bergluft einzuatmen.
    Mittlerweile bezweifelte sie allerdings, dass der Fußmarsch eine gute Idee gewesen war. Nach den starken Regenfällen der vergangenen Tage hatte sich die Sonne ihren Weg durch die Wolken gebahnt und verbreitete eine drückende Schwüle.
    Jenny wiederholte den Achselhöhlentest, diesmal auf der linken Seite. Schweißgeruch war definitiv das Letzte, was sie heute Abend gebrauchen konnte – abgesehen von einer glänzenden Nase.
    Rasch nahm sie die Puderdose aus ihrer Handtasche und betrachtete sich in dem kleinen runden Spiegel. Kein Zweifel, es gab Renovierungsbedarf.
    Nachdem sie das Döschen wieder zugeklappt und verstaut hatte, machte sie sich auf den Weg zur Toilette. Dabei fiel ihr Blick auf den Bergfried, der die imposante Anlage überragte. Sie hatte im Vorfeld einiges über die Burg gelesen und wusste, dass dort das einstige Verlies lag. Die Haftbedingungen in dem Kerker waren so hart gewesen, dass kaum einer der Verurteilten je wieder lebend herausgekommen war.
    Jenny schauderte. Es war gar nicht so lange her, dass sie unfreiwillige Bekanntschaft mit einem Verlies gemacht hatte.
    Die Stimme des Baritons rief sie zurück in die Gegenwart: »Bitte von vorn.« Viola hatte offenbar noch immer nicht das richtige Tempo gefunden.
    *
    »Krischtl, du kannsch die Becher herstellen. Na, Walther, du tuasch nimmer die Tisch hin- und herrucken, sonscht fallt all’s wieder obi.«
    Martha Tappeiner stieß die Kommandos stakkatoartig hervor. Bis zum Eintreffen der Gäste dauerte es nicht mehr lange, und nach wie vor herrschte hier das reinste Chaos. Dabei hatte sich die Betreiberin eines Buschenschanks in St. Michaela ursprünglich sehr über den Auftrag gefreut. Bei der heutigen Soirée sollte sie für das leibliche Wohl der Anwesenden sorgen. An die 200 Doktoren, die alle an einem großen Kongress über Oswald von Wolkenstein teilnahmen, galt es zu verköstigen. Dazu kamen einige wichtige Leute aus der Gegend. Der Bürgermeister hatte sich angesagt, der Direktor des Tourismusvereins und sogar die Vizequästorin vom Kommissariat in Meran.
    Fehlte nur, dass der Landeshauptmann höchst persönlich auftauchte. Immerhin war er oberster Chef des Südtiroler Landesmuseums, das auf Schloss Tirol beheimatet war. Er stand, soviel sie wusste, allerdings nicht auf der Gästeliste.
    Auch so brachte die heutige Veranstaltung Martha Tappeiner beinahe an die Grenzen ihrer Kapazitäten. Aperitif mit Spezialitäten von Burg und Berg, in der Pause Schmankerln aus Kammer und Kessel – so hatte der Auftrag gelautet.
    Normalerweise arbeiteten die Betreiber der Burg fix mit einer Gastwirtschaft der Umgebung zusammen. Doch ihr einflussreicher Arbeitgeber, bei dem Martha ihr saisonal schwankendes Einkommen im Buchenschank aufbesserte, hatte dafür gesorgt, dass diesmal sie zum Zug kam.
    Inzwischen bereute sie ihre Zusage allerdings. Zuerst hatten die Auftraggeber von ihr verlangt, dass sie und ihre Helferinnen sich in grobe Leinenkittel kleideten. Die beiden Burschen im Team mussten lederne Kniehosen und lose herabfallende Baumwollhemden tragen. Das alles, um dem Ganzen eine authentische, mittelalterliche Note zu geben.
    Doch die sackartige Bekleidung passte hinten und vorne nicht, der derbe Stoff kratzte und die langen Röcke waren bei der Arbeit eher hinderlich. Den Burschen schien es mit ihren um die Schenkel flatternden Hosen auch nicht besser zu gehen. Damit nicht genug, lautete der Auftrag, dass sie neben Bier – von der altehrwürdigen Brauerei Forst – und Wein – von den Hängen hinter Schloss Tirol – auch etwas Typisches ohne Alkohol ausschenkten.
    Apfelsaft hatte sie vorgeschlagen, schließlich war die ganze Umgebung voller Apfelbäume. Zu wenig originell, hatte es geheißen. Sie möge sich etwas anderes einfallen lassen. Bis sie auf die Idee mit dem Rosenwasser gekommen war, das sie aus Rosenblüten selbst hergestellt hatte.
    Ein polterndes Geräusch ließ Martha aufschrecken. Ah, Walther und Luis rollten das Bierfass herein. War ja auch Zeit geworden. Es musste rechtzeitig aufgebockt werden, damit der Bürgermeister den Anstich vornehmen konnte. Martha fragte sich, ob hier nicht ein wenig zu viel Aufwand für die gelehrten Gäste betrieben wurde. Andererseits war es ihr recht. Einen Zuverdienst konnte sie wirklich gut gebrauchen, gerade jetzt, wo …
    »Kann i scho zum Einschenken anfangen, Mama?« Die Stimme ihrer Tochter riss Martha aus ihren Gedanken.

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