Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kurschattenerbe

Kurschattenerbe

Titel: Kurschattenerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Neureiter
Vom Netzwerk:
als äußerst unangebracht empfinden, wenn der Assistent eines der beiden wissenschaftlichen Leiter kein korrektes Deutsch sprach.
    Bevor Lenz Gelegenheit hatte, seinen guten Vorsatz in die Tat umzusetzen, betraten sie den Burghof. Viele der Kongressteilnehmer hatten sich schon eingefunden und labten sich am Aperitif, den bäuerlich gekleidete Frauen, Mädchen und Burschen aus großen Krügen in Steingutbecher schenkten.
    Lenz sah Arthur mit ausgestreckten Armen auf eine Frau zugehen: Jenny Sommer. Da stand sie, genau so, wie er sie in Erinnerung hatte: klein, zierlich und ungemein energisch. Gerade mal einen Meter sechzig groß und 50 Kilo schwer drückte ihre ganze Haltung eine Kraft und Entschlossenheit aus, die er an sich selbst bisher vergeblich suchte.
    Sie trug die kastanienbraunen Haare kürzer als beim letzten Mal, was ihr ein besonders jugendliches Aussehen verlieh. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, er hätte sie für eine Studentin gehalten. Arthur hatte sie gerade am Arm genommen und führte sie zu ihnen.
    »Maurice, ich möchte dich mit Frau Dr. Sommer bekannt machen, unsere PR-Expertin. Schade, dass du bei der Besprechung heute Nachmittag nicht dabei sein konntest. Ich bin sicher, ihr habt heute im Laufe des Abends Gelegenheit, euch vertraut zu machen.« Während die beiden einander die Hand schüttelten, wandte Arthur sich an Lenz: »Du und Jenny, ihr kennt euch ja bereits.«
    Jenny wechselte ein paar Wort mit Professor Jungmann, bevor sie sich Lenz zuwandte.
    »Hallo, wie geht es dir?« Die Floskel schien ihm betont förmlich. Auch der Blick, mit dem sie ihre Worte begleitete, war ganz und gar nicht freundschaftlich. Im Gegenteil, Lenz hatte den Eindruck, sie würde ihn am liebsten, wie weiland Margarete ihren Gatten, der Burg verwiesen.
    Was war los? Hatte er sie beleidigt? Er wusste aus Erfahrung, dass sie leicht eingeschnappt war. Dabei hatte er nichts gesagt oder getan, das sie hätte verletzen können.
    Vielleicht lag es daran, dass er bei der Besprechung am Nachmittag nicht dabei gewesen war. Sie hatten im Zuge der Vorbereitung des Kongresses diverse Mails ausgetauscht und er hatte sein Kommen zu dem Meeting, bei dem letzte Details für die morgige Pressekonferenz geklärt werden sollten, angekündigt.
    Ihm war jedoch etwas dazwischengekommen: Ein hochrangiger ausländischer Teilnehmer war nicht wie vereinbart vom Taxidienst am Flughafen in Bozen abgeholt worden. Lenz hatte sich darum gekümmert und die Besprechung vergessen. Schließlich ging ihn die Pressekonferenz ja auch nichts an. Er würde sowieso nicht am Podium sitzen. Er hatte eigentlich nur die Gelegenheit nutzen wollen, Jenny vor dem heutigen Abend wiederzusehen – was nicht geklappt hatte. Wahrscheinlich war sie deshalb sauer auf ihn. Er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie ihm sein unentschuldigtes Fernbleiben übel nahm.
    Gerade wollte er ihr die Sache erklären, da machte sie auf dem Absatz kehrt und erklomm die Stufen zum Eingang des Südpalas, jenem Trakt der Burg, in dem das Konzert stattfand. Im nächsten Moment war Professor Jungmann an ihrer Seite und bot ihr höflich den Arm, den sie entgegennahm. Lenz zuckte die Schultern. »Versteh einer die Frauen«, murmelte er vor sich hin und folgte der Menge, die in den Konzertsaal strömte.
----
    1 Südtirolerisch für Mädchen

ZWEI
    Kreuz und quer hab’ ich das Meer befahren,
    in alle Himmelsrichtungen, auch wenn Stürme tobten.
    Am Schwarzen Meer jedoch gab’s nur eine Rettung:
    Ein Fass, das ich umklammerte, als mein Schiff versank.
    Mit ihm ging auch mein Kapital den Bach hinunter.
    Ich und ein Russe überlebten.
    Zusammen schwammen wir ans Ufer.
    Nach Oswald von Wolkenstein ›Es fügt sich‹
    In der Burgkapelle, die für die Dauer des Konzerts zum Aufenthaltsraum für die Ensemblemitglieder umfunktioniert worden war, legte Viola Vielle den Bogen neben sich auf die Kirchenbank. Liebevoll blickte sie auf das Instrument in ihrem Schoß, das weniger Versierte Geige oder Violine bezeichnet hätten. In Wahrheit handelte es sich jedoch um eine Vielle, etwas länglicher als eine Geige und das mittelalterliche Pendant zu dem Streichinstrument, wie man es heute kannte.
    Vielle. Viola ließ sich den Begriff auf der Zunge zergehen. Was für ein glücklicher Zufall, dass der Name mit ihrem eigenen übereinstimmte. Zugegeben, ein wenig hatte sie nachgeholfen. Künstlernamen waren schließlich erlaubt.
    Sie war eine Künstlerin, und was für eine! Bereits im Kindesalter

Weitere Kostenlose Bücher