Kurt Ostbahn - Blutrausch
sagt der Rudi. „Du kennst ihn doch. Der kann sowas doch gar nicht.“
„Nicht mehr“, sage ich, um nicht weiter Dinge erklären zu müssen, die ich nicht erklären kann.
„Nicht mehr“, kommt Rudis trübes Echo.
Er schüttelt nur immer wieder den Kopf. Ich tu’s zwar nur im Geiste, aber auch ich verstehe die Welt nicht mehr. Eben war alles noch ganz einfach: Der Wickerl hat allein oder mit seinen teuflischen neuen Freunden bei einem Plattengroßhandel eingebrochen, hat die Beute, einen Teil der Beute oder seinen Anteil an der Beute (für den man sich allerdings keine Harley kaufen kann) im Schuppen des Herrn Josef versteckt, und ehe er Whitney Houston in Bild und Ton am Flohmarkt unters Volk bringen konnte, hat ihn jemand irrtümlich massakriert. Oder es war kein Irrtum, sondern seine neuen teuflischen Freunde, die nicht mit dem Wickerl teilen wollten, oder es waren seine neuen teuflischen Freunde, weil er nicht mit ihnen teilen wollte.
Soweit die Fernsehkrimifassung. Was mir der Trainer wortlos in die Hand drückt, sprengt jedoch die Derrick-Dramaturgie, bei der ich mich auskenne und wo ich auch mitreden kann.
Ich meine: Was soll ich mit Lieferscheinen der Firma Media Sales , ausgestellt vor drei Tagen über CDs und Videocassetten im Wert von jeweils zwanzig bis dreißig Tausend auf die Namen Leopold Karasek, Mario Adretti, Karl Horak, Eduard Jedelsky, Elfriede Tomschik, Tobias Kern und Christian Nagy?
Warum haben ich, die Chefpartie (minus Frau Marschall) und die Überreste von „Mom & Dead“ plötzlich ihre Liebe zu Whitney Houston entdeckt und sich ihre letzte Platte gleich in hundertfacher Ausführung (plus unverkäufliches Video) angeschafft?
Was haben die Lieferscheine im Schuppen des Herrn Josef und in der Hosentasche des toten Wickerl zu suchen?
Wieso weiß ich nichts von meiner neu entflammten Liebe zu Whitney Houston? Und hätte mir der Herr Dipl. Ing. Jedelsky bei unserem Telefonat heute am späten Nachmittag nicht diesbezüglich sein Herz ausgeschüttet?
Wieso ist unsere Frau Marschall nicht Kundin von Media Sales ? Liegt das daran, daß sie drei Monate außer Landes weilt?
Wieso haben sämtliche Mitglieder der Chefpartie als Lieferadresse die Anschrift von Ton- und Zahlmeister Kohlen-Güntl angegeben und den Erhalt ihrer Whitney-Houston-Überdosis nicht mit ihrer Unterschrift bestätigt, sondern mit offensichtlich vom Beipackzettel unserer „A blede Gschicht ...“-Platte abgepausten Autogrammen?
Und wieso, verdammt noch einmal, habe ich die vielen schönen Platten, für deren Bezahlung mir die Firma Media Sales kulanter Weise ein Zahlungsziel von 30 Tagen einräumt, nicht seit vorgestern bei mir daheim auf Lager, wo sie hingehören, weil ich damit Frisbee spielen will oder Anmäuerln oder was noch viel Intimeres, das keinen Menschen was angeht?
Fragen über Fragen, die mir auch der Trainer im Moment nicht beantworten kann.
„Kennst Du eine Elfriede Tomschik?“ fragt er den Rudi.
„Die Donna? Klar. Warum?“
Ich mache den Trainer auf die Schnelle mit der übrigen Besetzung von „Mom & Dead“ vertraut, mit Tobias“Tobi“ Kern am Schlagzeug und mit Christian Nagy, genannt der Gschwinde, an der Gitarre. Er habe sowas ähnliches vermutet, meint der Trainer. Und ich weiß nicht, was er damit meint.
„Euer Wickerl“, sagt er, „hat mit, für oder ohne das Wissen von Media Sales , auf jeden Fall aber auf eure Kosten eine gröbere Linke gedreht.“
„Und daran ist er gestorben“, sage ich.
„Möglich“, sagt der Trainer. „Ich nehme mir ein paar CDs mit nach Hause und schau sie mir genauer an. Und die Videocassetten. Die können wir auf unseren Geräten nicht abspielen, Kurtl. Das sind NTSC-Bänder, amerikanisches Format. Aber der Doc hat einen NTSC-Recorder. Ich ruf ihn gleich von drüben an. Übrigens: Wo steht dem Wickerl sein Wagen?“
„Weiß nicht“, sagt der Rudi. „Aber irgendwo in der Nähe. Weil die Schlüsseln sind in seiner Jacke.“
„Und wo ist seine Jacke?“
„Drüben. Am Haken. Da hab ich sie selber hingehängt, in der Nacht. Aber...“
„Und die Polizei hat nicht danach gefragt?“ frage ich. „Nein. Die haben nur dem Wickerl sein Messer mitgenommen, wegen irgendeiner Untersuchung. Aber was sind das für Rechnungen? Und was hast du damit zu tun, Kurtl? Und die Donna? Und die Partie?“
„Später“, sage ich. „Zuerst brauch ich ein Achtel, und dann erklär ich dir alles.“
Eine Notlüge, der man das eine oder andere Achtel folgen
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