Kurt Ostbahn - Blutrausch
Kaffee olé, Madame?“ Seine Zeit bei der Fremdenlegion hat bei seinem Französisch keine nennenswerten Spuren hinterlassen. Und da Madame auf sein Angebot nicht reagierte, versuchte er sein Glück in einem ihm geläufigeren Idiom:
„Wollen Gnädigste vielleicht was trinken? Eine Melange? Einen Gin Fizz?“
Marlene entschied sich für ein Glas Rotwein.
„Ein Viertel vom Feinen“, sagte der Herr Josef, und nach einem zweiten ergebnislosen Gang zum Telefon wechselten die Sensation und ich zu meinem Tisch neben dem Wurlitzer.
Momentan hält sie beim zweiten, vom Herrn Josef ganz besonders gut eingeschenkten Glas“Römerblut“. Und macht sich Sorgen: Sie muß noch Autofahren, hinein in die Innenstadt, zum Hotel Palace , wo sie gestern abgestiegen ist und voraussichtlich bis Sonntag logieren wird.
Wie ich im Zuge unserer angeregten Konversation herausarbeiten konnte, hat Marlene heute bereits eine Odyssee in ihrem Mietwagen hinter sich. Sie war in Hietzing im Haus eines Geschäftspartners zum Abendessen eingeladen, und ist dort mit einer Stunde Verspätung eingetroffen, weil sie viele freundliche Wiener mit der Kirche ums Kreuz in die Auhofstraße geschickt haben. Bei der Rückfahrt zum Hotel hat sie sich auf ihren eigenen Orientierungssinn verlassen und ist auf der Laxenburger Straße gelandet. Dort hat sie bemerkt, daß sie ihre Mappe mit irgendwelchen wichtigen Gutachten und Zertifikaten in Hietzing vergessen hat. Und der verzweifelte Versuch, den Geschäftsfreund anzurufen und zu bitten, die Unterlagen vor morgen um zehn ins Palace zu schicken, hat sie ins Rallye verschlagen.
„Wo bin ich hier eigentlich gelandet?“ fragt sie.
„Am Arsch der Welt“, sage ich.
„Reizender Arsch“, sagt sie.
Dann nimmt sie einen Schluck Römerblut und sieht mich über den Rand des Glases hinweg an.
„Was denken Sie?“
Ich will sie nicht mit der nackten Wahrheit meiner Gedanken brüskieren, also rede ich was über Zufall, Schicksal und Vorsehung, Themen, die bei der Repräsentantin des größten Auktionshauses von Quebec, Kanada, auf fruchtbaren Boden fallen müßten. Aber Marlene wischt sie mit einem energischen Schütteln ihres Pagenkopfes vom Tisch.
„Männer wie Sie, sollten sich nicht solche Gedanken machen“, sagt sie.
„Ahja?“ sage ich und mache dabei garantiert kein besonders schlaues Gesicht. „Worüber sollte ich mir dann Gedanken machen?“
Marlene lächelt und bleibt mir die Antwort schuldig, weil der Herr Josef an unseren Tisch kommt und meint, der Trainer wäre am Telefon und es wäre ganz furchtbar wichtig.
Mein Pflichtbewußtsein hat Grenzen. Und ich beschließe, daß seine Inhaltsangaben der Whitney-Houston-Videos bis morgen warten müssen. Der Herr Josef verspricht, den Trainer freundlich aber bestimmt abzuwimmeln und geht wieder.
„Sie sind Sportler?“ fragt Marlene.
„Ex“, sage ich.
„Und was tun Sie heute?“
„Ich mach mir Gedanken.“
Marlene lacht. Und diesmal ist ihr Lachen ganz besonders sensationell. Ich frage mich, wie alt sie ist. Und gebe mir die einzig richtige Antwort: Sie ist in der Blüte ihrer Jahre.
„Im Emst“, sagt Marlene, „was tun Sie? Ich frage mich das schon die ganze Zeit.“
„Ich bin Musikant. Im Emst.“
„Oh. Und welches Instrument spielen Sie?“
„Fotzhobel, also Mundharmonika.“
„Alle Musiker, die ich kenne, trinken gern“, sagt Marlene. „Alle Musiker und Ärzte.“
Daß sie durch des Schicksals Fügung bei mir an beides in Personalunion geraten ist, unterschlage ich vorsichtshalber, sie könnte sich womöglich falsche Vorstellungen über meine Trinkgewohnheiten machen, aber daß ich zumindest in diesem Lande kein ganz unbeschriebenes Blatt bin, nicht zuletzt durch die Erfindung des Favorit’n’Blues vor nunmehr 28 Jahren, lasse ich in aller Bescheidenheit anklingen. Wenn mich eine Sensation wie Marlene schon näher kennenlernen will, dann hat sie auch Anspruch auf die wichtigsten biografischen Daten.
Sie amüsiert sich soeben königlich über einen meiner Evergreens, die Geschichte, wie der“King“ Karasek, seine Frau, die Herta, und ich aus dem urbanen Blues des schwarzen Amerikaners, der proletarischen Härte Simmerings und dem schier unlöschbaren Bierdurst des Kings den Favorit’n’Blues entwickelt haben, als der Herr Josef ein weiteres Mal an den Tisch kommt.
Er serviert als kleine Aufmerksamkeit des Hauses zwei große Femet.
Das ist sein diskreter Wink mit dem Zaunpfahl, diese einmalige Gelegenheit nicht
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