Kurt Ostbahn - Platzangst
Freundeskreis zurechnen würde.
Falsch: Einmal hat sie vor dem Haus den Hermann Jako-by wiedergetroffen, der mit ihr auf die „Grafische“ gegangen ist und sich damals nicht entscheiden konnte, ob er lieber ein berühmter Comic-Zeichner oder eine berühmte Comic-Figur werden will. Das mit dem Zeichnen hat wohl nicht so geklappt, und der schlagkräftige aber herzensgute Dicke ist mit Obelix auch schon längst erfunden, also schleppte der Jakoby im Auftrag einer Verleihfirma eine Video-Ausrüstung in Knapps Fotokeller. Aushilfsweise, sagte der Jakoby und machte keinen wirklich glücklichen Eindruck.
Irgendwann im Juni, als der Knapp für ein italienisches Lifestyle-Magazin auf Barbados britische Latex-Mode fotografiert, holt Iris ihre Sachen aus der Villa ihres Urgroßvaters. Sie hat beschlossen, daß ein Ende mit Schrecken einem Schrecken ohne Ende vorzuziehen ist, und teilt dies auch schriftlich ihrem Lebensabschnittsgefährten mit.
Der Knapp hat auf ihren Brief nie geantwortet. Iris hat damit auch nicht gerechnet.
Der Rest ist Geschäftliches: Nachdem im Zeitraum 2.Hj. ‘95 bis Sept. ‘96 bei der Gebäudeverwaltung zahlreiche Beschwerden von Anrainern (wegen Lärmbelästigung und nächtlicher Ruhestörung), sowie polizeiliche Erhebungen, den Mieter des Objekts betreffend, eingegangen sind, wird per September 1996 der Mietvertrag mit Heinrich Knapp auf persönlichen Wunsch des Eigentümers, Komm.-Rat Josef Fabian, nicht mehr verlängert.
Was den Knapp nicht wirklich kratzt. Denn der hat seine Bodenstation bereits nach Hamburg-Eppendorf verlegt.
Was Iris wiederum auf Umwegen über ihre Mutter erfährt. Denn sie hat mit Knapp auch Wien den Rücken gekehrt und lebt seit Herbst hier heroben in Hermannschlag, in der Ruhe, die sie braucht, um wieder zu sich selbst zu finden, aber auch mit der ständigen Befürchtung, daß das letzte Kapitel ihrer Knapp-Geschichte noch nicht geschrieben ist.
24
„Die Fabian könnte ihnen sogar ihre bucklige zahnluckerte Großmutter als Miss Universum verkaufen, stimmt’s oder hab ich recht, Herr Doktor?“ gluckst Brunner und schaut über den Rand seines Stamperls mit einem breiten Grinsen zu mir herüber. Dann kippt er den nächsten Trebernen.
„Was soll das heißen?“ sage ich.
„Das soll heißen, daß Sie leicht zu beeindrucken sind. Weiblicherseits. Und daß Sie immer nur das Gute im Menschen sehen. Daß ein jeder aber auch seine dunklen Seiten hat, bemerken Sie erst, wenn es zu spät ist.“
Ich ziehe die Flasche mit Iris’ Edelbrand zu mir herüber und schenk mir noch einen letzten Doppelten ein.
„Blödsinn“, sage ich. „Nach dem, was uns die Iris alles erzählt hat. . .“
„Sag ich ja“, unterbricht mich Brunner und fuchtelt mit seinem leeren Schnapsglas aufgeregt durch die Luft. „Sie hat sich quasi vor uns freigemacht, sich ausgebreitet wie eine Dings . . .“
„Ein offenes Buch.“
„Ich wollt was nicht so Elegantes sagen, aber Sie wissen, was ich mein, Herr Doktor. Wenn ihnen jemand sein Liebesieben bis ins kleinste Detail offenbart, dann gibt es da unter Garantie noch irgendwas anderes, über das er oder sie absolut nicht reden will. Ein Tabuthema, wie man so sagt. Etwas, das einem selbst eine Heidenangst macht, weil man es sich nicht erklären kann. Irgendeine böse Ahnung vielleicht, eine Vermutung oder einen Verdacht, den man sich nicht eingestehen will, weil dann eine ganze Welt zusammenbrechen würde.“
„Und wer sagt Ihnen das? Auch der Morgenurin?“
Brunner lacht.
„Ein Mal geht’s noch“, sagt er dann und langt nach der Flasche.
Wir lagern in Iris’ Dachatelier auf dem Holzboden, Brunner im Daunenschlafsack unserer Gastgeberin und ich eingehüllt in ein halbes Dutzend Wolldecken. Im Unterschied zur guten Stube ist es hier heroben ziemlich frisch, und es zieht wie daheim auf meiner Baustelle. Iris hat uns die Reste des Trebernen mitgegeben, als wir vor einer halben Stunde die steile Hühnerleiter ins Dachgeschoß hinaufgeklettert sind, ins improvisierte Gästezimmer, denn zur ebenen Erd gibt es neben der Stube nur noch die kleine Küche, einen Verschlag in dem man bei Minusgraden seine Notdurft verrichten kann, und die Schlafkammer, in der sich Iris, zuletzt vom reichlich genossenen Schnaps bereits deutlich gezeichnet, zur Ruhe begeben hat.
Aber Brunner und ich sind nicht allein, während wir auf die wärmende Wirkung des Selbstgebrannten warten, die uns den wohlverdienten Schlaf bringen sollte. Wir haben Gesellschaft von
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